"Illustrierter
Führer durch das Riesengebirge
die Adersbach-Weckelsdorfer Felsendtädte und den Stern"
Hier nun ein Auszug aus dem Buch
"Illustrierter
Führer durch das Riesengebirge
die Adersbach-Weckelsdorfer Felsendtädte und den Stern"
geschrieben von Eduard R. Petrak im Auftrage
des österreichischen Riesengebirgsverein im Jahre 1891.
Das Buch ist in der Staatsbibliothek in Berlin nachgewiesen und soll im Bestand
des Riesengebirgsmuseum in Markoberndorf, nach einer alten Bestandsliste, sein.
Das Buch wurde seitengetreu im Format DIN A5 abgeschrieben. Es umfasst ca.
470 Seiten, wovon 34 Seiten mit Fotografien im Format DIN A5 und 34 Seiten mit
Fotografien im Format DIN A4. Die Fotografien wurden aus dem alten Buch eingescannt.
Bedingt durch das Alter des Originalbuches und unter Berücksichtigung der
damaligen Fotografie sowie der damaligen Druckrasters entsprechend sind die
Bilder wiedergegeben. Die Bilder wurden nicht aus dem Buch herausgetrennt.
Die beiden großformatigen Landkarten sind dem Buch nicht beigegeben.
Die Bindung wird als echte Kaltleimung vorgenommen.
Hier können Sie sich das Inhaltsverzeichnis
des alten Reiseführers als PDF-Datei herunterladen.
Der Druck des Buches erfolgt Ende Juni 2002.
Auszug
ROUTE 20
Von Spindelmühle durch den Elbegrund über den Elbefall und die Elbequelle
zu
den Schneegruben (Harrachweg).
W.-M. Grüner Strich.
Entweder am Bergabhange fort, am Hôtel zum Wiesenhaus
vorbei zum Mädelsteg, und jenseits desselben l. auf die Elbegrundpromenade,
oder geradeswegs von der Elbebrücke auf dem Harrachweg, dem Flusse entgegen.
Nach ungefähr 200 Schritten l. ein Glimmerschieferfelsen, der auffallende
Aehnlichkeit mit einem versteinerten riesigen Baumstamme besitzt; insbesondere
ist die Rindenbildung täuschend. Einem Titanen gleich erscheint uns vom
Thalwege aus der westliche Abfall des Ziegenrückens, dem aus W. der Krkonosch
im steilen Schüsselberg (Bärhübel) gleichsam einen Arm entgegenstreckt.
Das letzte Haus am Wege ist die (2 km) Mädelstegbaude
(773 m, Restauration und Logirhaus, pro Person 2 Kr. Wegmauth zu entrichten).
Wenige Schritte rechts seitwärts von der Baude ist der
Vereinigungspunkt (768 m) der Elbe und des bedeutend stärkeren Weisswassers,
das eben die einsamen schauerlichen Schluchten des Teufelsgrundes durchrauscht
hat. Wer nicht schon über den Mädelsteg kam, möge nicht unterlassen,
den kurzen Abstecher zu dieser immerhin merkwürdigen Stelle zu machen.
Wir betreten nun das in geheimnisvollem Schweigen ruhende Gebiet
der
Siebengründe, eine Gegend, die an Wildheit, Düsterheit
und Abgeschiedenheit ihresgleichen im Riesengebirge sucht. Schon der Eintritt
durch das Elbethor, das Ziegenrücken und Krkonosch bilden, ist imposant.
Es scheint, dass die beiden Berge in der Urzeit einen zusammenhängenden
mächtigen Wall bildeten, hinter dem sich die Gewässer der Pantsche-,
Elbe-, Mädel-, Teufels- und Weissen Wiese stauten, die Siebengründe
als See überfluthend, bis der höhlende, nagende Tropfe und der furchtbare
Seitendruck der Fluth die Bergwand durchsägten. Jahrtausende vergingen,
ehe die entstandene Bresche ihre heutige Breite und Tiefe erlangte, ehe die
nackten Felswände ihre Blössen mit Urwald deckten und der Mensch erschien,
dem wilden Bären seine Schlupfwinkel streitig zu machen.
Die Sage erzählt über die Entstehung der Siebengründe,
wie folgt: "Eine Fürstentochter fluchtete in das Gebirge, doch wurde
ihrem Verfolger, der sie zur Gemahlin begehrte, verrathen, dass sie sich daselbst
an einem Quell verborgen halte. Er setzte ihr nach. Da öffnete eine gütige
Nymphe, um ihn irre zu führen, nach und nach zwölf Quellen, an deren
keiner er die Gesuchte fand. Die dreizehnte aufzusuchen scheute er sich aus
Furcht, da ihm geweissagt worden war, die Zahl Dreizehn würde ihm Unheil
bringen." Er that wirklich wohl daran, denn an der dreizehnten Quelle würde
er "jedenfalls zu seinem späteren Leidwesen" die FIüchtige
entdeckt haben!
Die Siebengründe stellen ein Dreieck vor, dessen Seiten
Krkonosch, Ziegenrücken und Riesenkamm bilden. Längs des ersteren
fliesst die Elbe durch den Elbegrund, längs des zweiten das Weisswasser
durch den Weisswassergrund. In diese beiden Gründe münden von W. nach
O.: in den ersten der Pudel-, Martins- oder Hofbauden- und Bärengrund,
früher "Bärenbad" genannt; in den zweiten der Rothe und
Schwarze Grund, Sturmgraben, Krummseifen- und Silberwassergrund, sämmtlich
vom Riesenkamm herabkommend. Nur wenige Baudengruppen und Einschichten finden
sich in diesen Revieren, deren Schluchten noch manche herrliche Waldpartie bergen,
verstreut, und auch von diesen sind manche nur Sommerbauden.
Im 17. Jahrhundert wurde zwischen den Besitzern der Herrschaften
Hohenelbe, Branná und Kynast, also den Grafen Morzin, Harrach und Schaffgotsch,
ein lange währender Streit und dieses Gebiet geführt. Von Seite der
Herrschaft Branná wurde das Weisswasser als Herrschaftsgrenze erklärt,
seitens Hohenelbe der Elbseifen als solche ausgegeben. Zu damaliger Zeit bedeckten
die Siebengründe theilweise noch Urwälder. Die eigentliche Nutzung
bestand nur in der Jagd und Fischerei. Es wurden viele Bären und Hirsche
erlegt, und in den Gewässern Forellen gefangen. Indes wurden auch von der
benachbarten schlesischen Herrschaft Kynast nicht nur auf die Siebengründe,
sondern auch auf andere Theile des Gebirges Eigenthumsansprüche erhoben,
und die dortigen Jäger und Unterthanen unternahmen öfter thätliche
Eingriffe ins diesseitige Gebiet, welche nicht selten zu blutigen Zusammenstössen
führten. 1658 trat eine grosse Anzahl von Beamten und Unterthanen aller
drei Herrschaften zusammen, um in der Streitsache einen Vergleich zu erzielen
und die Grenzen zu bestimmen, doch zerschlugen sich die Berathungen, und seitens
der Schlesier wurde mit der Invasion der diesseitigen Gebirgstheile fortgefahren.
Zwischen den Grafen Morzin und Harrach kam 1690 ein Ausgleich zustande, wonach
die Herrschaft Branná 2½ Gründe, die Herrschaft Hohenelbe
aber 4½ Gründe bekam. Ueber die oberwähnte Zusammenkunft vom
Jahre 1658 wird in einem Memoriale an Leopold I. wörtlich gesagt: "..
so ist schon dazuemahllen, durch Vielfälltige Uhr Aldte Zeugen und Viell
andere Proben dehnen Khünaster Abgeordneten undt Wirthschaffts- Beambten
nach Viellfälltiegen Streitten undt Disputiren Vor Aug gestellet worden,
daß Sye daß Geringste Recht auf solche in daß Königreich
Böheimb ohn Disputirlich gehörrige gründte nicht haben Khundten,
zur mahllen Sye daß münderste Vorzuweißen hätten, mit
welcher Sye Ihr suchendes Recht hätten Behaubten Khönnen. Dann obwohlen
Sye Ihr Einziges Fundament in Dehme gesetzet, daß ein in geweßter
Hertzog in Schlößien Bulko genandt, Einem Herrn Von Schaafgotsch,
als Er des Hertzogs Schieldträger geweßen, undt in einer Schlacht
sich wohl gehaldten hatte, dieße Böheimbischen gebürge Von Friedtlandt
Biess an die Trautenauische geschenkhet haben solle, so ist doch dießer
Ungrundt mit diesem allein abgelehnet worden, daß ein Hertzog in Schlößien
Von dem König Reich Böheimb, alls einem Separirten Landt nichts habe
Vergeben köhnnen, Zugeschweigen, dass noch Viell wieder derley schenkungen,
und Ihrer gültiegkeith zue sagen währe. . ." Auf diese Eingabe
ordnete Leopold I. eine Grenzcommission an, die 1701 in Rochlitz abgehalten
ward, ohne dass bei den nachherigen Verhandlungen ein gütlicher Vergleich
zustande kam. Inzwischen starben sämmtliche drei betheiligten Herrschaftsbesitzer,
und ihre Nachfolger schlossen 1710 einen Vergleich untereinander, demzufolge
Graf Wenzel von Morzin an den Grafen Anton von Schaffgotsch die Teufelswiese
in den Siebengründen abtrat, der sie jedoch als theilweise Entschädigung
dem Grafen Alois von Harrach überliess, denn dieser hatte an Schaffgotsch
den ganzen damals noch mit Urwald bedeckten, an 4600 ha messenden Complex abgetreten,
der sich zwischen dem Iserbrunnen, der Grossen Iser bis zu ihrem Zusammenfluss
mit der Mummel, dann an dieser aufwärts bis zum Zusammenflusse mit der
Milmitz sodann an derselben fort bis zum Katzenstein, im Norden vom Hohen Iserkamm
begrenzt, ausbreitet. Dieser Landstrich, der auf der Karte als tiefer Einschnitt
nach Süden auffällt, ist dadurch für das Königreich Böhmen
verloren gegangen.
Eine Wanderung durch den vom jungen Elbestrom durchrauschten
Grund ist für Touristen jedes Schlages ein Labsal. Auf dem sich keck durch
den allseits uns umarmenden Wald drängenden Wege schreiten wir wie auf
mit Teppichen bedecktem Parquettboden dahin. Die Steigung ist mässig. Der
Fluss bietet prächtige Bilder: ruhige, tiefe Stellen, in denen die Forelle
sich tummelt, dann schäumende Cascaden und grössere Gefälle.
Das erste r. einmündende (833 m) Seitenthal, des Hochwaldes wegen unbemerkt
bleibend, ist der Bärengrund in welchem 1726 noch ein Bär erlegt wurde.
Dann folgt der Martinsgrund, wild und unwegsam, voll Steingerölle und Felstrümmer
wie der vorige. Sein Wasser bildet einen schönen, aber schwer zugänglichen
Fall. Im Pudelgrund findet sich der an 40 m hohe
(5,6 km Pudelfall, der eine romantische Umgebung aufzuweisen
hat, und von dem aus sich eine schöne Aussicht über den Elbegrund
bis zum Pantsche- und Elbefall bietet. Er liegt jedoch mindestens ¼ Stunde
bachaufwärts auf der steilen Berglehne; da kein gebahnter Weg zu ihm führt,
so wird er selten besucht. Ein tieferer Fall ist vom Thalwege aus sichtbar.
" Das Flussbett wird enger, der Wald dichter. Mancher Stamm, den vor Jahren
ein Sturm entwurzelt, oder den das Alter zu Boden geworfen, fühlt in seinen
verwesenden Leib die Wurzeln jüngerer Geschlechter sich senken. Der Waldboden
ist mit üppigem Farnkraut bedeckt, dessen herrliche Wedel das Auge entzücken.
Beim endlichen Austritt aus dem geschlossenen Walde erwartet uns eine angenehme
Ueberraschung. Zurückschauend, erblicken wir abermals den trotzigen Ziegenrücken,
r. die waldumrauschte Planur, l. den rauhen Lahnberg und die schroffen Ränder
der öden Teufelswiese; zwischen Lahnberg und Ziegenrücken windet sich
der Teufelsgrund. Vor uns öffnet sich in seiner ganzen wilden Schönheit
der Elbegrund und bauen sich die granitenen Wände des Krkonosch
300 m senkrecht auf; von ihrem oberen Rande braust, schäumt und donnert
eben das Wasser des Pantschefalles (Seite 142) nieder, dessen Anblick
von hier noch ungleich imposanter ist als von oben. Packend ist insbesondere
das Schauspiel, wenn, während die Luft im Thale durchsichtig ist, oben
um die Felsenzinken dichte weisse Nebel rollen und flattern und der Fall sich
buchstäblich aus den Wolken niederstürzt. Unten gleitet die Elbe über
glatte, abschüssige Granitplatten ihres Bettes dahin; ausser ihrem Rauschen
unterbricht nur das Schmettern einer Alpenflüelerche, das aus den hochgelegenen
Knieholzbüschen der Wind herabträgt, die Stille. Wahrlich erscheint
uns hier die Poesie gleichsam verkörpert " was Wunder, dass sich ein
durch sie berauschter Tourist im Fremdenbuch der Elbefallbaude vernehmen liess:
"Verstumm´ o Lied, verstumm´ o Lied!
Wenn einer in das Elbthal sieht,
Der würde mich verlachen, wollt´ ich ein Lied drauf machen.
Geh´ Mensch, o geh´, verkauf´ den Rock, ersteh´
dafür `nen Knotenstock,
Dem lieben Gott vertraue und reise ab ins Blaue!"
Die seltsam verzerrten Felsmassen lassen manche Vergleiche zu.
Auffallend ist ein Menschenkopf, der im ersten unteren Drittel eines l. vom
Pantschefall stehenden Felskegels sichtbar wird. Der Führerwitz lässt
hier den Mädchenräuber Rübezahl aus seinem Felsenkerker hervorlugen
und benennt die Stelle Rübezahl´s Gefängniss. Das Pflanzenleben
unterhalb des Pantschefalles hat einen harten Kampf ums Dasein zu bestehen;
sich im Sommer üppig entwickelnd, wird es im Winter von, den niederkrachenden
Lawinen niedergewalzt und zermalmt." Bei der Grundbaude, die unbewohnt
ist und nur Holzarbeitern zur Unterkunft dient, gelegentlich auch Touristen
Schutz gewährend, Hornsignal, wenn man das Oeffnen der Schleusen wünscht.
An ihr ging der alte Elbefallweg vorbei, der nun ganz unkenntlich ist. Der neue
Weg wird für eine kurze Strecke nochmals vom Walde aufgenommen. Wo man
ihn verlässt, um die über den herabschäumenden Fluss führende
Brücke zu überschreiten, überraschen uns Johannisbeersträucher
(Ribes petraeum), die zwischen dem bemoosten Felsgerölle wachsen und im
Spätsommer voll rother Trauben hängen. Die Früchte bleiben unbehelligt;
übrigens sind sie ziemlich sauer. In Serpentinen windet sich der Weg auf
den steilen Abhang empor. Interessant ist der hier auffallend schnelle Uebergang
vom Hochwalde zum Knieholz. Einzelne Baumleichen, die ihr wettergebleichtes
Astgerippe in die Lüfte strecken, bezeugen, dass einst der Wald weit höher
emporreichte.
Nach Mosch´s Angabe (Das Riesengebirge, 1858) war früher
der ganze Abhang des Krkonosch, über welchen jetzt die Pantsche herabstürzt,
bewaldet. An der Pantsche herab war zum Flössen des Holzes und der Holzstämme
eine Holzriese erbaut; im Thale stand eine Sägemühle, die nach dem
Abtreiben des Waldes abgebrochen wurde. Mosch kannte noch Leute, die Wald und
Mühle gesehen haben; von dieser führt er eine Abbildung an.
Je höher wir kommen, desto imposanter, hinreissender wird
der Rückblick in den tief unter uns zurückbleibenden Elbegrund. Auf
der letzten Wegstrecke erscheint auf einen kurzen Moment der Schneekoppengipfel,
dann erreichen wir die
(9 km) Elbefallbaude (1284 m).
An ihrer Stelle entstand die erste Baude, eigentlich Hütte,
um die Mitte der Fünfzigerjahre. Sie bot keine Unterkunft, sondern nur
höchst frugale Erfrischungen. Ein gewisser Dewald erbaute bald darauf eine
neue Bande, die Ende der Fünfzigerjahre von Josef Schier aus Rochlitz übernommen
und so erweitert wurde, dass sie auch Nachtquartier gewähren konnte. 1878
bis 1879 errichtete Graf Harrach über einem Theil der alten Mauern ein
neues Hôtel, welches endlich 1888 bis 1889 seine gegenwärtige Gestalt
erhielt, in welcher es in seinen 20 Zimmern über 100 Touristen anständig
unterbringen kann. In der Restauration (für welche eine mehr anheimelnde
Ausstattung erwünscht wäre) geht es an manchen Tagen lustig her. Während
der Sommermonate concertiren Musiker, und die heiteren Klänge der Violinen
sind zu verlockend, als dass ihnen Tanzlustige widerstehen könnten. Ermüdung,
Durchnässtsein, wunde Füsse, enges Schuhwerk, alles wird vergessen,
wenn eine fröhliche Gesellschaft den Tanz eröffnet. Ein Tag in der
Hochsaison am Elbefall zugebracht, ist nichts weniger als langweilig. In buntem
Durcheinander und Wechsel strömen die Touristen ab und zu, und ein aufmerksamer
Beobachter vermag hier mit Musse die Typen der Bergfexe zu studiren.
Zum Elbefall beliebt man sich an die unterhalb der Baude
liegenden Teiche, in welchen das Wasser behufs Erzielung eines grösseren
Effectes gestaut wird. (Taxe per Person 8 kr. oder 15 Pf.) Wer die ganze Pracht
des Falles auf sich einwirken lassen will, muss seinen Standpunkt in der Schlucht
selbst nehmen. Nach dem Zuge der Schleusen schäumt die Fluth, an den Felsen
zerstäubend, wild herab und, das Geklüfte erdröhnt von ihrem
gewaltigen Sturze. Leider währt das Schauspiel nur kurz; bald entleeren
sich die Behälter und der Wogendrang versiegt. Die Höhe des eigentlichen
Falles beträgt an 50 m.
Von der Elbefallbaude führen Wege: A. Ueber
Schüsselbauden nach Friedrichsthal (Route 19). B. Durch den Kessel
nach Rochlitz (Route 18). C. Durch das Mummelthal nach Harrachsdorf-Neuwelt
(Route 13). D. Zu den Schneegruben von wo entweder nach Westen gegen
Schreiberhau, oder nach Osten zur Schneekoppe (Route 48).
Der dunklen Thalschlucht entsteigend, schreiten wir an der Restauration
und dem oberhalb derselben stehenden Pavillon vorbei auf einem tief ausgetretenen
Pfade auf die Fläche der Elbewiese. Magerer "Wolf" oder
"Läuserich" bildet ihren Rasen, jedes zweite Jahr eine karge
Ernte bietend. Ausser zähen Alpenkräutern und Gräsern gestattet
der rauh über die Fläche fegende Wind, der hier im Winter riesige
Schneemassen ablagert, nur noch dem Knieholze fortzukommen. Der Botaniker findet
aber auch hier seine Rechnung. Endlich stehen wir an der Wiege der Elbe, dem
(11 km) Elbebrunnen (1346 m), einem unansehnlichen, mit
Steinen eingefassten runden Wasserbecken. Seitens des Oesterr. R.-.G.-V. wird
hier ein Monumentalbau geplant. Das klare Wasser hat selbst im Hochsommer eine
sehr niedrige Temperatur. Gewöhnlich hält sich in einer aus Steinen,
Rasen, Brettern und Rinde errichteten Hütte jemand auf, der gegen ein kleines
Trinkgeld ein Glas mit dem krystallenen Nass füllt.
Von hier aus tritt die Elbe als das achte unter den circa 230.000
fliessenden Gewässern Europas seine 1280 km lange Wanderung an, um der
Nordsee die atmosphärischen Niederschläge von circa 1600 µm2
zuzuführen. Die Quelle des Flusses, den die Römer Albis oder Albios
nannten und dessen Ursprung sie bei den Hermunduren in Süddeutschland vermutheten,
suchen manche auf der Weissen Wiese; es gilt Ihnen dafür die Quelle des
Weisswassers. Allerdings ist die letztgenannte stärker als die Elbequelle
auch scheint der Name im Zusammenhang mit dem lateinischen zu stehen; allein
was jetzt Elbequelle genannt wird, gilt schon lange dafür, und es würde
schwer halten, das Kind anders zu benennen, dessen kirchliche Taufe bereits
1684 stattgefunden hat. Am 19. September des genannten Jahres fand nämlich
auf der Elbewiese eine Ceremonie ganz eigener Art statt, die hier eingehender
erwähnt zu werden verdient. Wahrscheinlich einer Einladung der Herrschaftsbesitzerin
von Starkenbach, Frau Anna Francisca von Harant, folgend, war Freiherr Johann
von Tallemberg, Bischof zu Königgräz, nachdem er zuvor dem Grafen
Paul von Morzin zu Hohenelbe einen Besuch abgestattet, über Rochlitz auf
die Elbewiese gestiegen und hatte hier den Elbebrunnen eingeweiht. Ueber seine
Bergfahrt berichtete hierauf der Bischof in einem eigenhändigen und hochinteressanten
Schreiben, das hier wortgetreu theilweise Platz finden möge, in den Grafen
Paul von Morzin.
"Hoch- und, Wohlgeborner Reichsgraf;
Hochgeehrtester Herr Sohn!
Dass Euer Liebden unterm dato Neu-Kunstberk den 9ten (?) sich
meiner zu erinnern und mir zwei Kameel 1) zu überschicken
beliebet, dessen thue ich mich zum schönsten bedanken. Berichte auch,
dass der Bot mir nur einen gebracht, den andern aber, weilen er etwas schwach
geworden, unterwegs hat lassen müssen; will demnach meine Leut an den
Ort, wo solcher gelassen worden, hinschicken und selbigen abholen lassen.
Weilen aber Euer Liebden zu wissen verlangen, wie es mir nach meiner Abreis´
von Hohenelb und sonsten auf dem Riesengebirg ergangen, als thue ich mich
nochmalen wegen des empfangenen guten Tractamentes von Deroselben ganz höflich
bedanken und anbei avisieren, dass ich zwar mit schlimmen Wetter und angetroffenem
nichtsnutzigen Weg bei Branna, gleich wie sich Tag und Nacht geschieden, zu
Starkenbach ankommen, jedoch von der Frau Wittib 2)
auf das Höflichste empfangen und gar wohl tractieret worden, allwo ich
ein Tag gerastet und Herrn von Funken unter uns kommen, mit welchen wir bei
einem guten Gläsel Wein absonderlich Euer Liebden und Dero allen Zugehörigen
zum Oeftern eingedenk gewesen. Den andern Tag bin ungeachtet des schlimmen
Wetters mitsammt (?) den Tag ganz frühe aufgebrochen und habe meine Kapellen
und mein Zelt den Abend zuvor vorangeschickt. Meine Leut´ sein aber
so langsam gemarschiert, dass ich selbe zu Rochlitz noch angetroffen habe.
Um unsern Weg zu beschleunigen, habe ich alldorten Leut gedingt, die meine
Kapellen stückweis zertheilten und einen Tisch auf das Riesengebirg getragen.
Und mein Zelt, das habe ich auf ein Kameel Iaden lassen, ich aber nebst einem
Pater Jesuviter und einem von meinen Kapelan (denn der andere, wie er auf
den halben Weg schon gekommen, Schwindels halber hat müssen auf Rochlitz
zurückkehren) und etlichen von meinen Leuten bin, obzwar, in stetem Regen,
jedoch glücklich ungefähr gegen ein Uhr nachmittags hinauf kommen,
allwo uns der Rübenzahl ein Stückel erwiesen. Denn obwohlen wir
alle Nothwendigkeiten zum Feueranmachen auf das beste versehner mit uns gehabt,
so ist es doch nit möglich gewest, vor einer grossen guten halben Stunden
das Feuer anzumachen; entzwischen war aber eine solche Kält´ und
rauher Wind, als wie mitten im Winter. An diesem war noch nit genug; denn
mein Kameel ist mitten am Berg mit dem Zelt niedergefallen und hat auf keine
Weis´ wollen aufstehen, dass also die Leut´, welche mit gewesen,
vier Bäume abhauen müssen und das Zelt darauf geleget und bis hinauf
getragen. Wie selbige hinauf kommen, so haben wir das Zelt aufrichten wollen;
und wie wir die Zeltstangen suchen, so haben selbige meine unachtsamen Leut´
zu Starkenbach vergessen, dass ich also gezwungen worden, einen von den Bäumen
anstatt der Zeltstangen zu gebrauchen.
Es hat uns aber Rübenzahl abermals einen Possen gemacht.
Denn wie wir das Zelt von allen Seiten schon perfect aufgerichtet und befestiget
gehabt, so hat sich ein solcher Sturm erweckt, dass er den Baum, auf welchem
das Zelt gestanden, welcher doch ziemlich dick war, als wenn man ihn mit dem
Messer zerschnitten, in der Mitten ganz entzwei gebrochen und das Zelt niedergefallen,
dass ich schon zu zweifeln angefangen, ob ich werde die heilige Messe, wie
ich wir vorgenommen, alldorten celebrieren können. Jedoch bin ich nit
kleinmüthig worden, sondern habe das heilige Kreuz sowohl über das
Zelt, als auch über den andern Baum, welcher etwas tiefer war als der
vorige, gemacht und mit Hilfe der gegenwärtigen Leut, so da zugegen waren,
etwan zweimal so lange, was man miserere ausbeten konnte, das Zelt wiederum
glücklich aufgerichtet, den Altar alldorten zubereitet.
Und wie ich schon zur heiligen Mess angelegt gewesen, dem
alldortigen Volk eine Exhortation gemacht, und damit uns Gott weiter Glück
geben solle, selbiges eifriger ermahnet. Nach diesem habe ich die heilige
Mess vollendet und nach Vollendung derselben bin ich in pontiticalibus zur
Weihung des Brunnens bis zu dem wahren Ursprung der Elbe geschritten. Es geschah
aber eine seltsame Sach´, welche schier einem halben Mirakel zu vergleichen.
Denn wie trüb und schändlich das Wetter gewesen, so hat es sich
doch post finitos exorcismos und gleich damal, wie man das Evangelium von
der Tauf des Herrn gesungen, und das Crucifix in den Brunnen, wie es die Ceremonien
der Kirche mit sich bringen, gepflanzet, in einem Augenblick völlig verloren,
die Sonne ganz hell und licht geschienen, dass wir das andere Gebirg gleich
wie einem schönen Paradies mit Lust ansehen und ich das Uebrige der Benediction
mit meinem höchsten Vergnügen und Trost habe vollbringen können.
Nach Vollendung desselben haben wir alle, so zugegen gewesen, aus dem gebenedeiten
Elbebrunn getrunken und hernach habe ich das Wenige, was ich von einer kalten
Kuchel mitgehabt, sowohl meiner als Euer Liebden Officierer nach Möglichkeit
mitgetheilt und mich weiter nit lang aufhalten wollen, sondern weil es unmöglich
gewesen, wegen des glatten Weges herunter zu reiten, als haben sie aus dem
Tisch eine Tragge gemacht und haben allezeit acht Personen umgewechselt und
mich herunter getragen. Wie wir aber schon ausserhalb des Walds und schon
mehr bei Rochlitz waren, so sind zwei von denen Kerlen gestolpert und ich
bin ziemlich hoch herunter geflogen, jedoch ohne Schaden und glücklich,
Gott Lob ! auf die Füss´ gefallen und gegen halber Neune auf Rochlitz
kommen, allwo mich die Frau Wittib mit einem guten Abendmahl bewillkommet
hat. Ich bekenne, dass wir das Essen diesmal gar wohl geschmeckt hat. Und
was mich noch mehr gefreut, ist gewesen, dass das Volk aus Begierd, mich zu
sehen, in einer grossen Menge zusammen gekommen und ich die Gelegenheit gehabt,
diesem wilden Volke 3) eine Predig aus der Wildnis,
nämlich von der Bekehrung und Marter des heiligen Eustachii und seiner
Mitgesellen, zu machen und dass diejenigen, welche von meiner anfangs sich
versteckt, und mich geflohen, nach sothaner Predig von selbsteigenem freien
Willen hernacher zu mir kommen, mir die Hand küsst, gedankt, gebeten,
dass ich bald wieder unter sie kommen möge, und mich mehr denn eine grosse
viertel Meil´ Weg, viel aus ihnen weinend, aus Rochlitz begleitet. Und
dieses ist die Beschreibung meiner Reis´ im Gebirg . . ."
Der Oesterr. R.-G.-V. darf sich rühmen, dass sein gewesener
I. Präsident Wenzel Weber (Stadtdechant in Hohenelbe, Canonicus des Königgräzer
Kathedral-Capitels, bischöfl. Consistorialrath, Ritter des Franz Joseph-Ordens,
Meister des freien deutschen Hochstiftes, k. k. Bezirksschulinspector etc.)
am 19. September 1884 die abermalige Einweihung des Elbebrunnens als zweihundertjährige
Erinnerung in die eben geschilderte denkwürdige Feier vornahm, wobei ihm
Pfarrer Vincenz Kröhn aus Gross-Aupa, ein eifriger Förderer der Vereinsinteressen,
und Pfarrer Franz Lang aus Spindelmühle assistirten. Die Schulen von Spindelmühle,
Krausebauden, Schüsselbauden, die Hohenelber Bezirksvertretung, zahlreiche
Touristen und viel "Volk" aus den umliegenden Gebirgsdörfern,
zusammen an 600 Menschen, nahmen Theil an der Feier. Nach erfolgter Segenspendung
über die Quelle, einer Rede und Verlesung obigen Documentes seitens des
Canonicus Weber, forderte dieser die Anwesenden auf, mit ihm aus der Quelle
zu trinken und, hier an den Grenzmarken zweier Reiche, ein Hoch auszubringen
auf die Einigkeit zwischen Oesterreich und Deutschland. Bezirks-Obmann Jos.
Rotter aus Hohenelbe brachte der wackeren, fleissigen, mit Entbehrungen und
MühsaIen ringenden Riesengebirgsbevölkerung einen Toast.
Zur Errichtung einer an die Einweihung erinnernden Denksäule,
wie selbe der Bischof damals beabsichtigt, ist es nicht gekommen. Dafür
wurde eine solche aufgestellt, als 1804 Erzherzog Joseph und 1805 Erzherzog
Rainer die Quelle besucht hatten, doch ist von derselben längst keine Spur
vorhanden. Auch Theodor Körner hat 1809 das Gebirge und unsere Quelle besucht
und sie in nachfolgendem Sonett besungen:
"Am Elbbrunnen.
Sei freundlich mir gegrüsst, du stille Quelle,
Aus tiefster Felsenkluft so klar entsprungen;
Der Liebe süsses Lied sei dir gesungen,
Begeistert tön´ es an der heil´gen Stelle!
Du bist so kühlend, bist so rein, so helle;
Noch ist dir nicht dein kühnster Sturz gelungen,
Doch hast du bald der Felsen Macht bezwungen:
Dann rauscht in breiten Strömen deine Welle.
Jetzt fülle hell mir die krystall´ne Schale!
In Träumen kommt die Knabenwelt gezogen,
Ihr bring´ ich froh den ersten Labetrunk.
Denn ach! schon früh sass ich in deinem Thale,
Und lauschte oft dem Murmeln deiner Wogen,
Und still ergreift mich jetzt Erinnerung."
Am Elbebrunnen vorüber führt ein mit Stangen bezeichneter
Weg in nördl. Richtung in den Kammweg hinein, in südl. aber über
die Pantschewiese nach Friedrichsthal, Rochlitz oder Harrachsdorf-Neuwelt.
Bei sehr trockenem Wetter kann man es wohl wagen, quer die Wiese
nordöstl. Überschreitend, auf die Felsenpyramide der Veilchenkoppe
loszusteuern; angezeigter aber ist es ohne Zweifel, zurückzukehren und
auf dem neuen, bequemen, von der Elbefallbaude sanft ansteigenden Wege den (14
km) Schneegruben (Route 48) zuzuwandern.
1) Dieselben hat Graf Paul, der in den
Kämpfen bei der Befreiung Wiens 1683 theilgenommen, von dort mitgebracht.
2.) Frau Anna Francisca von Harant.
3) Dies bedeutet
"scheues Volk", denn es hatte sich 1682 zu Rochlitz das Gerücht
verbreitet, der Bischof werde herkommen und jedem ein Kreuz auf die Stirne brennen.
Die Rochlitzer, welche vor dem dreissigjährigen Kriege sich fast durchgehends
zum lutherischen Glauben bekannten und durch Jesuiten zur katholischen Religion
mit der damaligen Härte zurückgebracht wurden, schenkten dem Gerüchten
Glauben und viele entflohen nach Schlesien. Durch die beruhigende Aufklärung
der Herrschaftsbesitzerin kehrten sie aber fast alle zurück. Als nach zwei
Jahren der Bischof wirklich erschien, hielten sich viele scheu zurück.
Vielleicht trauten selbe doch nicht recht, auch war wohl von den lutherischen
Glaubenssätzen noch manches in Erinnerung.
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