Quelle: "Sein Riesengebirge * Erzählungen und Geschichten" von Eduard Rudolf Petrak um 1870

Eine Alltagsgeschichte

von Eduard R. Petrak

In einer der hochgelegenen Schluchten der Siebengründe bergen sich mehre Sommerbauden. Sie stehen im Winter verödet, von Menschen und Thieren verlassen. Stürme rütteln an den morschen Schindeldächern, den ächzenden Sparren und festgenagelten Fensterladen und der Schnee, der sich erst an den Wänden empor lehnt, dann über die Firste hohe Hügel baut, begräbt auch den kalten Schornstein unter seinen Massen, füllt und ebnet die Kluft und kein Zeichen verräth, dass hier, wenn Alles wieder grünt und blüht, Menschen leben, lieben, leiden.

Schwindet die kalte weiße Decke, beginnt das Gras aus dem unfruchtbaren Sumpf- und Moorboden kärglich zu sprossen, so ziehen die Eigenthümer mit ihren Heerden aus den geselligen Dörfern hinaus, um den kurzen Sommer auf der Hochweide zuzubringen. Hier leben sie abgeschieden von der Außenwelt, der Pflege der Thiere sich widmend. Nur selten steigt Einer in´s Thal, um die nothwedigen Lebensmittel herauf zu bringen und die Erzeugnisse der Viehzucht, Butter und Käse, hinab zu tragen. Selten verirrt ein menschliches Wesen sich in die Einöde. Der große Strom der Touristen fließt hoch oben am Kamme im ausgewaschenen Bette; es widerstrebt ihm, sich in Seitenarme zu theilen und neue Pfade zu schaffen. Nur ein Wanderer, den Nebel, Sturm und Regen von dem rechten Wege abkommen ließen und den ein Zufall hieher verschlug, nimmt manchmal das Mitleid und die Gastfreundschaft der Bewohner in Anspruch. Ein Grenzwächter erscheint zuweilen in den Hütten, oder es harrt ein Pascher, dem der Schleichweg nicht sicher genug dünkt einer günstigeren Stunde da. Die in der Nähe friedlich grasende Heerde bringt allein einiges Leben in die Stille. Droben hört der Dahinziehende das heisere, in dieser Einsamkeit aber doch so melodische Klingen ihrer Glocken zu sich empor tönen und dichtet wol im Geiste eine liebliche Idylle hinzu. –

In einem der Häuschen, dem bestbestellten unter allen, wohnt die hübsche Hanna mit ihren Ältern [1]. Der Vater war ein wohlhabender Insasse aus dem nahen Alt-St.-Peter und bezog, wie manche seiner Nachbarn, den Sommer über seine "Stelle". Hanna war nicht wie die anderen Mädchen des Gebirges. Sie hatte während eines Sommers in der "Krausemühle" in Krausebauden gedient und daselbst die Bekanntschaft einer vornehmen Dame aus Prag gemacht, welche sie lieb gewann und bei er Abreise mit fortnahm. Die Zeit, welche Hanna in der Hauptstadt zugebracht, war nicht ohne wohlthätigen Einfluß für sie vorüber gegangen, obwohl sie das schlichte Kind der Berge blieb.

Eine Begebenheit aus ihrem Großstadtleben kann ich nicht übergehen. Am Fenster stehend, stieß sie eine kostbare Blumenvase hinab, die zum Glücke ein Vorübergehender bemerkte und im Falle auffing. Hanna eilte auf die Strasse und da sie den zertrümmert geglaubten Gegenstand aus den Händen des Retters entgegen nahm, erkannte sie in diesem Korles-Franz, einen Burschen aus dem heimatlichen Dorfe, der bei den Pionieren Unteroffizier geworden war. Die Beiden, die einander daheim vielleicht nicht beachtet hätte, schlossen Freundschaft, der gar bald die Blüten der Liebe entsprossten.

Als Hanna´s Herrschaft wieder ihren Sommeraufenthalt in der "Krausenmühle" bezog, um einige Wochen in den unerschöpflichen Genüssen der Gebirgsnatur zu schwelgen, war auch sie mit gekommen und da inzwischen die dreijährige Dienstzeit Franzens zu Ende gegangen, fanden sich die Liebenden, welche die Fremde zusammengeführt, in der Heimat wieder.

Indeß schien es, als sollte diese die Liebenden trennen.

Hann´s Vater gab für Franzens Charge und die Tapferkeitsmedaille, die dieser sich erworben, keinen Heller – und doch war es dessen einziges Besitzthum. Sonst konnte er freilich Nichts gegen ihn einwenden, als dass er arm war, wie ein Schneefink um Neujahr; aber das eben schien ihm der dümmste Streich, den Einer sich könne zu Schulden kommen lassen.

Hannen war dies kein Grund, Franz aufzugeben und sie hielt, wie es schon so geht, um so treuer zu ihm, je hartnäckiger man es ihr wehrte. Er hatte einen kleinen Antheil an der Stelle seines älteren Bruders, nicht weit von jener, die Serafines-Seff, Hannes Vater, angehörte. Der felsige waldbestandene Bergrücken, der zwischen ihnen lag, war freundlicher als die Menschen und führte die Beiden oft zusammen, dass sie ihren Kummer und ihre Hoffnungen gegenseitig austauschen könnten. Als Hanna auch an der Mutter eine kräftige Stütze gefunden, musste der Vater nachgeben, und er that es um so eher, als er glaubte, dass Franz nicht um des Reichthums willen um Hanna werbe. Mehr als dies mochte jedoch das Orakel einer alten Sybille auf ihn eingewirkt haben, die ihm ein großes Glück verkündet, das seinem Hause durch einen armen Mann würde. So wurde Hannen der Verkehr mit Franz gestattet und wenn er sie Sonntags aus der Kirche in Spindelmühle bis in die ferne Sommerbaude geleitet hatte, hieß ihn ach der Vater willkommen.

Der Oktober kam heran. Eisig wehte der Nordwind über den Riesenkamm herüber, zerbrach die verkümmerten Wipfel der Fichten vollends und zauste an den fest geschichteten Heuschobern, deren Inhalt im Winter, wenn Thau- und Frostwetter einen leidlichen Bahrschnee hergestellt, in´s Thal gebracht werden sollte. Die dichten Nebel hingen sich als Reif und Eiskrystalle an Baum und Strauch und alles Leben begann zu ersterben.

Nun erst verlässt der zähe Bergbewohner die luftige Sommerbaude und führt seine Heerde mit sich und Alles, was nicht niet- und nagelfest sitzt. Er weiß nicht, ob er die ihm den Sommer über lieb gewordene Hütte im Frühling wiederfindet, ob nicht der Sturm die leichten Holzwände zertrümmert, ein Schneeschub oder eine Lawine das Häuschen von der Erdscholle wegfegt, darauf es steht, oder eine ruchlose Hand Feuer daran legt. Mit Wehmuth zieht er von dannen und freut sich in vorhinein der Stunde, da er wiederkehren darf.

Dem Gebirgsbewohner bringt keine Jahreszeit Ruhe und Erholung. Sein Leben ist ein unausgesetztes Ringen. Wenn die düsteren kurzen Wintertage kommen, der Bauer im Flachlande sich behaglich auf der Streu dehnt und die Hände in den Schoß legt, sucht und findet der Höhenbewohner noch kärglichen Erwerb. In schneereichen Jahren bietet ihm solchen das "Holzrücken". Das Bau- und Brennholz, das sommerüber in den Gebirgsforsten geschlagen wurde, wird, wenn hoher Schnee die Unebenheiten des Bodens ausgeglichen hat, aus den Schlägen an den Fahrweg oder Fluß im Thale gebracht, um dem Verkehre übergeben zu werden. Die Bringung geschieht auf leichten Schlitten, deren Kufen wie Hörner über Meterhöhe aufwärts ragen und dem Fahrzeug den Namen "Hörnerschlitten" verschafft haben. Mit einem Raummeter und mehr wird er beladen und dass der rasende Lauf über den steilen Abhang gemindert werde, eine Hemmkette untergeschoben und an solcher eine Anzahl schwerer Scheite nach geschleppt. Trotzdem muß der Schlittenführer noch all seine Kraft und Gewandheit aufbieten, sich in der schmalen Spur zu erhalten, nicht in eine Untiefe oder unter die Holzlast zu gerathen, die ihn zermalmen würde. Sinkt der Abend nieder, so hat er zweimal den lebensgefährlichen Weg aus der Höhe gemacht und kehrt mit sauer verdienten sechzig Kreuzern müde und matt heim – um am nächsten Morgen an dieselbe Arbeit zu gehen.

Auch Franz war diesem schmalen Verdienste nachgegangen. Hanna sah er nur selten. Es widerstrebte ihm, oft das Haus ihrer Ältern zu betreten, wo man ihm zwar ein freundliches Gesicht zeigte, aber nicht offenen Herzens entgegen kam. Da plötzlich schien ihm das Glück zu lächeln und er glaubte, um Hanna anhalten zu dürfen; sie billigte seinen Entschluß. Es war an einem Sonntagabend. Hann´s Ältern saßen plaudernd am blanken buchenen Tische, während sie selbst mit einer Näharbeit sich zu schaffen machte. Da trat Franz in die Stube. Er grüßte und reichte Hanna die vor Erregung bebende Hand; doch ihr kräftiger Gegendruck und ermunternder Blick flößten ihm Muth ein. Auf die Frage des Alten, was er Neues bringe, dünkte ihm am gerathendsten, gleich mit seinem Anliegen hervorzurücken. "Viel und wenig", sagte er, "wie Ihr´s eben nehmt; eigentlich will ich Euch Euer Bestes abverlangen ... Ihr wisst ja, dass wir, Hanna und ich, einander lieb haben ... Freilich mochtet Ihr´s nie gar gerne sehen, denn ich hab´ nichts, als zwei zur Arbeit taugliche Arme, aber wir konnten doch nicht von einand´ lassen. Gold macht hold und weil ich jenes nicht hatt´, wollet Ihr mir dies nicht recht werden. Nun hat mir der Wenzels-Vinz, mein Vetter, achthundert Gulden angeboten, dass ich mir ein Haus damit aufbaue; Gott gesegne´s ihm! Wolltet Ihr mir nicht ein Stück von Eurem Garten zur Baustelle lassen?"

"Und was willst Du mit dem verschuldeten Hause anfangen? Meinst, Wenzel-Vinz werde Dir sein Geld schenken?"

"Halb – denn er leiht es mir ohne Zinsen auf sechs Jahre. Ihr wisst, er kann´s"

"Hm, hm."

"Wenn das Haus fertig ist, wird der Vinz auch noch zwei Kühe in den Stall stellen und für die dürft wol das Futter von meiner Heustelle zulangen. Dann – seht – dann thut dem neuen Haus auch eine Hausfrau noth – und da dächt´ ich, Ihr – gäbet mir Hanna zum Weibe . . ."

"Hm, hm."

"Der Vinz ist doch ein hübscher Mann, dass er so an Dir thut!" warf die Mutter ein. "Aber wozu willst Du ein eigenes Haus bauen, wenn Du unsere Hanna kriegst? Wär´ dieses Dir nicht groß genug?"

"Darfst nicht meinen, Korles-Franz", begann der Vater, "dass ich Dir Hanna deßhalb nicht geben mochte, weil Du arm warst; darfst nicht meinen, ich würde Dir sie jetzt deswegen geben, weil Dir Wenzels-Vinz unter die Arme greift – nein! Der Herr Pfarrer hat ´mal vom weisen Sirach gepredigt, der habe gesagt: "Wenn das Weib den Mann reich macht, so ist da eitel Zank, Streit und Hader." Die Worte habe ich mir überlegt und zu Herzen genommen und gedacht: Es thät kein gut, wenn die Zwei einand kriegten; freilich ist Hanna kein bös Weib und Korles-Franz kein böser Mann, aber in der Eh´ kommt so Manches anders, als man sich´s vor der Hochzeit gedacht hat. Nun thät´ mir aber im Herbst die alte Pfeifer-Agathe – Gott hab´ sie selig! – ´s Blatt legen und weissagen: "Ein armer Mann wird Dir großes Glück in´s Haus bringen." Da hab´ ich gleich an Dich gedacht, dass Du´s wärst und gemeint, ´s könnt´ doch ´was werden mit der Hanna und dem Franz – und heut kommst Du so unverhofft mit einem Haus und zwei Kühen; hm, hm."

Sinnend schwieg er eine Weile, dann fuhr er fort: "Nimm die acht hundert vom Wenzel-Vinz und sag´ ihm: "Die Zinsen zahlt Euch Serafine-Seff, mein Schwiegervater. Baue dann in Gottes Namen Dein eigenes Haus – Du verstehst ja das Handwerk von den Soldaten her – und wenn Hanna im Herbste einzieht, wird sie Dir vier Kühe mitbringen und ein Stück Garten wird´ ich auch dazu thun." Franz und Hanna wussten sich vor Freude kaum zu fassen. Lang saßen die Vier noch beisammen und als Franz Abschied nahm, gab er Hannen einen herzhaften Kuß – vor der Ältern Augen.

Das gab ein Gerede in den Siebengründen, als es verlautete, der Korles-Franz, der arme Schlucker, werde des reichen Serafine-Seff Hanne heimführen. Die jungen Bursche wurden dem Franz, die Mädel aber Hannen gram, bis sie sich mit der Sache befreundeten und sie nahmen wie sie war. Die Beneideten kehrten sich nicht an das gehässige Geschwätz der Leute, sondern freuten sich ihres Glückes. Kaum konnten sie den Lenz erwarten, da Franz den Hausbau beginnen würde. Er war schon zum öfteren durch den tiefsten Schnee in den Wald gewatet und hatte sich dort die schönsten Stämme ausgesucht, die er nehmen würde.

Endlich hatte der Winter abgewirthschaftet und selbst der Himmel schien den Wünschen der Liebenden hold, denn es folgte ein solch lieblicher Frühling, wie auch die alte Pfeiffer-Agathe eines ähnlichen kaum gedacht hätte – hätte sie überhaupt noch gelebt. Der Schnee barg sich in die verborgensten Klüfte und in das tiefste Waldesdickicht, die offenen Hänge begannen sich mit dem frischen, wohlthuenden Grün des Grases zu schmücken und an den der Mittagssonne zugewandten Bergwänden prangten Primeln und Windröschen. Der "Schnorr", die Haidelerche und das muntere Volk der Meisen und Finken musizirte gar prächtig und weithin vernahm man den Ruf des Kukuks über die erwachenden Forste tönen.

"Fünfunddreißigmal hat er gerufen", sagte einmal Franz zu Hanna und lächelte; denn dem Volksglauben zufolge erfährt man die Anzahl seiner ferneren Lebensjahre, wenn man die Rufe des ersten Kukuks zählt.

Mit den Fällen des Bauholzes hatte Franz bereits begonnen und da er selbst der Emsigste unter seinen Arbeitern war, ging es rasch vor sich. Eines Tages erübrigten nur fünf Stämme. Mit drei Gehilfen war der Rastlose am frühen Morgen in den Schlag gegangen und um die Mittagszeit war man daran, die letzte der Fichten, einen mächtigen Koloß, nieder zu werfen. Die stärksten Wurzeln waren durchgehakt der Greifhaken im Geäste am Stamme befestigt worden und Alle ergriffen das an ihm befestigte Seil, um durch Ziehen den Baum in Schwung zu bringen. Erst begann der Wipfel leise zu zittern, dann theilte sich die Bewegung der Krone mit, der Riese wankte, neigte sich und fiel, erst langsam, dann pfeilschnell in der Richtung, in welcher die vier Männer standen. Drei hatten den richtigen Moment des Falles erschaut und waren aus dem bedrohten Bereiche nach rechts und links behend zur Seite gesprungen; Franz aber, der im gleichen Augenblicke Hanna über den Schlag hatte kommen sehen, verspätete sich, die herabsausenden Äste erfassten ihn und mit seiner vollen Wucht schlug ihn der Stamm zu Boden.

Ein Ruf des Schreckens entrang sich Aller Munde. Hanna stürzte wie sinnlos heran und da sie den blutigen, zermalmten Körper des Geliebten erblickte, brach sie zusammen.

Als sie aus tiefer Ohnmacht erwachte, war bereits Hilfe gekommen. Man hatte den Unglücklichen, dessen Rückgrat zerschmettert war, unter dem Baume hervorgezogen; er lebte, war aber ohne Bewusstsein. Die Augen standen offen und schienen starr auf einen fernen Punkt gerichtet, leise hob und senkte sich die Brust, aus der ein schmerzliches Stöhnen sich entwand. Das Jammern und Schluchzen Hanna´s war herzzerreißend und schien selbst die fliehenden Lebensgeister des Sterbenden zurückgerufen zu haben: sein brechendes Auge gewann neuen Glanz, die Hand zuckte nach der tödtlichen Wunde, die Lippen bewegten sich und die Besinnung kehrte noch einmal wieder. Er hatte Hanna erkannt und sein Mund verzog sich zu einem schmerzlichen Lächeln.

"Fünf – und dreißigmal – hat – er gerufen ..." stöhnte er, kaum für Hanna hörbar. Er machte eine Anstrengung, noch weiter zu sprechen, aber die Muskeln gehorchten nicht ferner dem Willen. Seine Gesichtszüge wurden schlaff, der Unterkiefer sank herab und der Mund öffnete sich; die Augenlieder fielen nieder, ohne sich zu schließen, das Auge ward glanzlos, matt und starr, das Antlitz färbte sich bläulich und bedeckte sich mit kaltem Schweiß; immer mühevoller presste sich der unregelmäßige Athem hervor und mit einem kurzen Röcheln stand er für immer still . . .

Hanna ist nicht glücklich geworden mit einem armen Manne, denn noch ehe das grüne Laub der Buchen sich röthlich färbte, wurde sie auf dem Spindelmühler Friedhofe neben ihren Bräutigam zur ewigen Ruhe gebettet. –


[1] Alte Schreibweise für Eltern.

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