von Eduard R. Petrak
Der Eintritt in das Leben, die innige
Gemeinschaft, welche Mann und Weib für die zweite Lebenshälfte eingehen, der
Austritt aus dem Leben kann es wol bedeutungsvollere Wendepunkte als
diese für den Einzelnen und seine Angehörigen geben? Es liegt in der Natur des
Menschen, dass er wichtigere Handlungen mit Ernst vollbringt und besonders an
solche Handlungen, von denen in der Gegenwart oder Zukunft sein geistiges oder
leibliches Wohl oder Wehe abhängt, mit Würde geht und sie mehr oder weniger
zeremoniös verrichtet. So hat er denn auch die drei oben genannten Knoten seines
Lebensfadens überaus reichlich mit allerhand mehr oder weniger entbehrlichen
Anhängseln ausgeschmückt, die er unter dem Namen "Gebräuche" zusammenfasst.
Jedes Land, jedes Volk und jeder Stand hat sich seine eigenen gedrechselt und
hält sie für die besten.
Ich will im Nachstehenden versuchen, die bei Taufen, Hochzeiten und Sterbefällen
herrschende Gebräuche, welche der Bevölkerung unseres Riesengebirges eigen sind,
zu schildern. Ich mache keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es würde die mühsame
Beobachtung vieler Jahre dazu gehören, um das Thun und Lassen der Gebirgsbewohner,
deren verschlossener, unmittheilsamer Charakter gegen Fremde jedem mit ihnen
Verkehrenden sofort auffällt, in allen Winkelzügen kennen zu lernen. Zudem sind
einzelne Gebräuche nicht über das ganze Gebiet des Gebirges verbreitet. In jedem
Theile ja, man könnte sagen: in jeder Gemeinde trifft man andere.
Eng an einander grenzende Ortschaften weisen darin zuweilen eine auffallende
Verschiedenheit auf. So weicht das ganze Volksleben des Elbethales wesentlich
von dem des Aupathales ab, wie ich während meines kurzen Aufenthaltes in letzterem
schon zu beobachten Gelegenheit fand. Allerdings sind die genannten Thäler durch
eine räumliche Ausdehnung von 3 4 Wegstunden von einander geschieden,
doch macht man obige Erfahrung schon, wenn man die Thäler der Elbe und der "Kleinen
Elbe" zusammenhält, die kaum 1 Stunde auseinander liegen. (Dieselbe Erscheinung
tritt uns auch an den Mundarten entgegen, die in allen Theilen des Riesengebirges
verschieden sind, oft so verschieden, dass Zwei, von denen jedereine andere
spricht, einander nicht verstehen können.) Endlich bildet die Sprachgrenze auch
für Sitten und Gewohnheiten die Grenze; doch haben die beiden neben einander
wohnenden Bevölkerungen Manches von einander entlehnt.
Man wird finden, dass bei allen hier angeführten Festlichkeiten Essen und Trinken
eine Hauptrolle spielen und jene in diesen gleichsam gipfeln. Wenn es aber bekannt
ist, wie selten sich unsere Gebirgsbewohner nach Herzenslust satt essen können,
der wird ihnen diese kleinen Abschweifungen von der Regel nicht zur Sünde anrechnen.
Und ist es bei den Festen anderer Stände vielleicht anders?
Vor der Taufe geht die "Pothmutter" (Hebamme) zu den ausersehenen
Gevattersleuten und in einer weitschweifigen Rede bringt sie da den Wunsch der
glücklichen Ältern, die Betreffenden zu Pathen für den Neugeborenen zu gewinnen,
an. Natürlich sagen die Angegangenen zu, denn das Gegentheil gälte als tiefste
Beleidigung.
Je vornehmer die Taufe, desto mehr Personen werden zu Gevatter gebeten; oft
sind deren 10 und darüber. Im Hause des Täuflings versammeln sich die Pathen
in ihrem Sonntagsstaate. Die älteren Männer tragen hohe Stiefel mit steifen
Schäften, lange mit den Schössen bis an die Waden reichende Röcke und breitkämpige
Hüte; die jüngeren sind schwarz gekleidet, ihre Hände stecken in unförmlichen
Waschledernen und auf dem Kopfe sitzt ein widerhaariger Zylinder. In später
Nachmittagsstunde, oft schon in der Dämmerung, tritt der Zug majestätischen
Schrittes den Taufgang an die Männer voran, wenn der Täufling männlichen
Geschlechtes ist, die Weiber, wenn es ein Mädchen. Einer Ledigen wird der Vorzug,
das Kind tragen zu dürfen.
Am Rückwege macht man in irgend einem Wirthshause Halt damit der kleine
Erdenbürger ein fideler Mensch werde. Hier wird das Gevattergeschenk verabreicht.
Dasselbe besteht in Liquer oder Rosoglio, welchen die Männer den mitgehenden
Frauen kredenzen lassen. Ein lustig Zechen geht an und voll des süßen Trankes
kommen Alle um die zehnte oder elfte Abendstunde heim. Nun erst wird das Kindsessen
verabreicht, das in Butterbrod, Käse, Bier und Branntwein besteht. Beim Nachhausegehen
lassen sämmtliche Pathen ein nach ihrem Vermögen und Stand bemessenes Eingebinde
zurück.
Das eigentliche Gevatter- oder Taufessen wird erst nach Wochen, ja selbst Monaten
abgehalten. Gäste sind wieder sämmtliche Pathen. Dießmal geht es hoch her. Süße
Suppe, Eierkuchen, abgeschmalzene Nudeln, Reisfüllsel, "Erdäpfelsterz",
gekochte Pflaumen, Kuchen, Buchten, Kaffee, Butterbrod, Käse, Wein, Bier und
Schnaps werden aufgetischt und vertilgt. Jeder ist bestrebt, nach Verhältnis
zur Höhe des seinerzeit von ihm verabreichten Eingebindes zu essen und zu trinken.
Während des Essens der Suppe werden in die gemeinschaftliche Schlüssel fortwährend
kleine Rosinen geworfen, so dass die Speise mehr schwarz als weiß erscheint;
Nudeln, Reisfüllsel etc. werden ebenso mit geriebenem Pfefferkuchen bestreut.
Beim Trinken des Kaffees nimmt man ein Stück Zucker in den Mund und schlürft
jenen bitter.
Das Mahl beginnt in den Abendstunden und währt tief in die Nacht hinein; dann
geht erst das Trinken an, bei dem man bis zum Morgen verharrt.
Der Hochzeit geht, auch wenn sie längst beschlossen, eine Art Verlobung oder
Heiratszusage voraus. Diesen Akt nennt der Gebirgsbewohner" `s Wort hullen"
oder "noch dam Wort Jiehn".
An dem dazu bestimmten Tage kauft der heiratslustige Junggesell eine Menge Schnaps
von verschiedener Sorte und Farbe, thut solchen in großen Flaschen oder kleine
Fässchen und dingt sich einen gesprächigen Redner, der ihm das Wort von der
Geliebten (im Dialekt "Mensch") und deren Ältern holen soll. Bei Einbruch
der Nacht begibt er sich in Begleitung seines Vaters, des Brautwerbers und eines
nahen Verwandten nach seiner Liebsten Haus und während Vater und Brautwerber
in die Stube treten, harrt er draußen seines Loses.
In der Stube sitzen beim Eintritte der Werber die Hausgenossen um den Tisch,
so harmlos plaudernd, als ob sie vom Zwecke des Kommens Jener keine Ahnung hätten.
Nur die Auserwählte in ihrer Mitte; sie ging an diesem Tage früher als sonst
zu Bette.
Mit vielen Worten und auf Umwegen eröffnet der Redner den Ältern der Erkornen
den Zweck seines Kommens und wird von ihnen, die gewöhnlich Nichts einzuwenden
haben, an die Umworbene selbst verwiesen. Diese wird alsbald aus dem Bette geholt
und ihr unter Schmeichelworten die Frage, auf die fast immer ein "Ja"
als Antwort erfolgt, gestellt. Mit der allergrößten Freude lauft hierauf der
Brautwerber nach der Thüre und zerrt den Bräutigam.
Indem er ihm den glücklichen Erfolg seiner Sendung mittheilt, in die Stube.
Dieser geht auf seine Braut zu und reicht ihr die Rechte zum Gruße und Danke,
wobei er ungesehen eine Silber- und Goldmünze, das Verlobungsgeschenk, in ihre
Hand drückt.
Der Brautwerber ist der Ansicht, dass es jetzt lustig hergehen müsse und fragt
die Hausmutter, ob sie nicht Kuchen oder Buchten gebacken habe und ob kein Schnaps
im Hause sei. Wie zufällig geht er dann hinaus und bringt den Schnapsmann herein.
"Wir hon vum Trinken geredt", sagt er, "un do stiht a Mon hinter
der Thür, da hot Schnaps zum Verkeesen."
"Ihr Mon", schreien darauf Alle, "Ihr müsst hinna bleißn! Mir
keesen Dich da Schnops o!"
Bald geht es fröhlich in der Stube zu; Brod, Butter, Käse, Buchten und Kaffee
kommen auf den Tisch. Um die 12. Stunde wird der Ehevertrag geschrieben. (Seitdem
der Legalisirungszwang besteht, hat dies fast völlig aufgehört). Getrunken wird
bis zum Morgen.
Des anderen Tages wandern die Brautleute in die Kirche und zum Pfarrer, lassen
sich am nächsten Sonntage zum erstenmale "aufbieten" und binnen drei
Wochen, gewöhnlich am Montag oder Dinstag ist die Hochzeit.
Zwei oder drei Tage vor derselben geht der gedungene Hochzeitsbitter, auch "Plampatsch"
oder "Druschbemon" genannt, den wir schon als Brautwerber kennen lernten,
die Gäste einzuladen. Diese versammeln sich am Hochzeitstage am frühen Morgen
im Hause des Bräutigams, wo sie mit den wiederholt genannten Speisen und Getränken
bewirthet werden. Leider spielt bei allen solchen und ähnlichen Festlichkeiten
der Schnaps eine gewisse Rolle. Ehe der Heiratskandidat das älterliche Haus
verlässt, hält der Plampatsch an die Ältern, die je einen Stuhl zum Sitzen in
die Mitte der Stube bekommen und vor welchen der Sohn steht, eine Abschiedsrede.
Er fordert sie auf, den Wegziehenden zu segnen. Man bringt Weihwasser, das der
Gebirgsbewohner für alle Eventualitäten vorräthig hält, Vater und Mutter benetzen
die Fingerspitzen damit und bezeichnen den Knieenden mit je drei Kreuzen. Alles
weint. Geschwister, Vettern, Muhmen, Basen, Großältern und Hausbewohner gehen
zum Bräutigam, reichen ihm die Hand, umarmen und küssen ihn.
Endlich hat man Abschied genommen und der Zug ordnet sich, Den rechten Fuß voraussetzend,
schreitet man dem Hause der Braut zu. (Während dieses Ganges, sowie am Vorabende
des Hochzeitstages und an diesem selbst herrscht noch, trotz aller dagegen erlassenen
Verbote das Pistolenschießen.) Hier wiederholen sich die oben skizzirten Zeremonien.
Auch das Frühstück fehlt nicht und ist in der Regel reichlicher als das erste.
Nach ihm geht es, unter Voranziehen der Musik, in die entfernte Kirche. Alle
im Zuge sind festlich geschmückt. Um Hüte, Ärmel, Stöcke, Pfeifen schlingen
sich bunte Bänder und aus den Knopflöchern gucken grüne Rosmarinstengel. Die
"Kränzeljungfern" sind mit weißen Kleidern angethan und tragen künstliche
Blumenkränze auf dem glatt gescheitelten Haare. Das Kleid der Braut ist aus
einem schweren, geblümten, bunt schillernden Seidenstoffe verfertigt.
In der Kirche reicht die Braut dem sie trauenden Geistlichen ein Seidentuch
als Geschenk. Auf dem Heimwege kehrt der Hochzeitszug in einem bestimmten Wirtshause
ein, um sich am Biere und trockenen Semmeln gütlich zu thun und den Hochzeitstanz
zu machen. Dieser wird in folgender Weise ausgeführt. Alle bilden einen Kreis,
in dessen Mitte die Braut und der Plampatsch stehen und dieser ruft den vornehmsten
der Hochzeitsgäste zum Tanze mit der Braut auf. Die Musik spielt, dreimal geht
es "üm a Ring" und der Tänzer muß abtreten. So tanzt die Braut nach
und nach mit Jedem, mit dem Bräutigam zuletzt; schließlich tanzen Alle. Wenn
diesem Vergnügen genug gethan ist, kehrt man nach Hause zurück.
Das Hochzeitsmahl nimmt erst am Abend seinen Anfang und wird vom Brautvater
gegeben. Die Gäste, die seit dem Frühstück gehungert haben, sind entzückt über
die Menge und Mannigfaltigkeit der Speisen, die aufgetragen werden und was sie
aufzuessen nicht im Stande sind, das lassen sie in mitgebrachten Geschirren
nach Hause tragen. Die Braut darf bei diesem Essen nicht mit in die gemeinschaftliche
Schüssel tunken. Die "Kränzelfrau" füttert sie, indem sie ihr von
jeder Speise dreimal drei Löffel voll auf den Teller reicht; erst jetzt darf
sie sich des Löffels oder der Gabel bedienen und essen. Unter ihrem Teller liegt
ein Silberstück damit das Ehepaar nicht verarme.
Während Tags vorher die Musik vor dem Hause des Bräutigams gespielt hat, thut
sie es heute vor dem der Braut; die Gebirgsleute nennen dies das "Hofrecht"
und machen sich Viel daraus. Nach dem Schmause wird in der Stube zum frohen
Tanze, zu dem sich allmälig die "außerordentlichen" Hochzeitsgäste:
die "Brautschauer", bekannte des Bräutigams oder der Braut, einzufinden
beginnen, aufgespielt. Die ganze Nacht und oft auch der folgende Tag werden
bei Musik und Tanz zugebracht. In der Hochzeitsnacht bettet die "Kränzelfrau"
für das junge Ehepaar auf und legt ihm wieder eine Silbermünze unter das Kopfkissen;
zum Schlafengehen wird es von allen Anwesenden begleitet. Nach der Hochzeit
bleibt der Bräutigam noch einen ganzen Tag bei der Braut.
Der Gebirgsbewohner erreicht gewöhnlich ein hohes Alter. Sein abgehärteter Körper
trotz dem Verfalle auch dann noch, wenn die geistigen Kräfte längst geschwunden.
Epidemien sind selten; häufiger ist im rüstigen Alter der Tod infolge Verunglückens.
Ist Jemand gestorben, so versammeln sich allabendlich im Trauerhause, so lange
der Todte noch unbeerdigt ist, dessen Freunde und Verwandte; hier wachen sie
bis zum Morgengrauen, beten, singen geistliche Lieder und vertrinken
ihr Leid im Branntwein; doch besteht dieser Gebrauch nicht allerorten. Vor dem
Begräbnisse geht die "Grabbitterin" von Haus zu Haus und ladet die
Bewohner zur Begleitung ein. Diese wird als Pflicht angesehen und aus jeder
Familie muß sich mindestens ein Glied betheiligen. Ist der Verstorbene wohlhabend
und beliebt gewesen, dann ist der Leichenzug immer sehr groß.
Geschah der Todesfall im Winter und ist das Haus eine der vielen im Hochgebirge
zerstreuten, von jeder Begräbnißstätte weit entlegenen Wohnungen, so kommt es
zu weilen vor, dass die Beerdigung tagelang durch Schneestürme und Ungangbarkeit
der Wege verzögert wird. In solchem Falle bringt man den Leichnam an einen kalten
Ort und lässt ihn im Froste erstarren, oder bedeckt ihn mit Schnee und Eis.
Sobald es aber das Wetter zulässt, wird er auf einen Hörnerschlitten geladen
und fortgeführt. Einige kräftige Männer gehen voran und stoßen eine breite Bahn
im Schnee aus.
Ehe man den Sarg aus dem Hause trägt, bringt man ihn dreimal mit der Hausthürschwelle
in Berührung auf dass die Seele des Todten im Grabe Ruhe finde. An der
offenen Gruft hält zuweilen der vielseitige Plampatsch eine Grabrede und betet
für das Seelenheil des Dahingeschiedenen.
Nachdem dieser bestattet worden und jeder der Leidtragenden drei Schollen auf
den Sarg geworfen, verlässt man den Friedhof und die Angehörigen geben in einem
Wirthshause oder im eigenen Hause das "Todtenessen".