Entnommen: Das Riesengebirge in Wort und Bild – Vereinszeitung des ÖRGV

Ein Leichenbegängnis auf dem Hochgebirge zur Winterszeit

Dem "Boten aus dem Riesengebirge" wird aus Hirschberg unterm 03. Dezember folgendes mitgeteilt:

"Vor einer Woche starb auf der am Fuße des Koppenkegels gelegene Riesenbaude, die bejahrte Schwiegermutter des gegenwärtigen Besitzers dieser Baude.

Es war selbst den kräftigsten Männern unmöglich, den Totenschrein zum Sterbelager zu schaffen. Der letzte Schneefall und der aller Beschreibung spottende Schneesturm ließen einen solchen Transport nach oben absolut nicht zur Ausführung gelangen. So wurde denn der Sarg bis zum Waldhause gebracht. In ruhigen Wintertagen ist die Beförderung von der Riesen- zur Hampel- und Schlingelbaude und nach Brückenberg für unsere Baudenbewohner eine leichte Sache, wie dies die Herabfuhr alljährlich zeigt. Dieser für gewöhnlich eingeschlagene Weg war diesmal, wollte man sich nicht von vornherein großen Gefahren aussetzen, nicht zu verfolgen. Eine gleiche, vielleicht noch größere Gefahr war auf dem Abstiege nach dem Melzergrunde zu befürchten, und so musste man sich für den steilen Gehängeweg in der Richtung der Telegrafenleitungen entschließen. Die zehn Träger, vielmehr die Schlittenführer, waren zur Hälfte von hüben und zur Hälfte von drüben bestellt.

Mit Lebensgefahr waren die hiesigen am Donnerstage gegen Abend in der Riesenbaude eingetroffen: die aus dem Riesengrunde erwartete man erst Freitag Früh mit einem Exemplar von Hörnerschlitten. Da zur festgesetzten Morgenstunde die böhmischen Mannschaften nicht eintrafen, begab sich der des Weges kundige Wächter der Riesenbaude mit noch einem Gefährten zur Ausschau immerhin kein kleines Wagnis, unter so unwirtlichen Verhältnissen in den Riesengrund hinabzusteigen.

Das Auge vermag sich nur schwer zu öffnen und der umflorte Blick bleibt eng begrenzt, der Ruf der Stimme verhallt ungehört selbst in nächster Nähe. Eine kleine Pause im Sturmgebrause hätte genügt, die Tritte und Stimmen der Kommenden zu vernehmen, die längs der "Bergschmiede", vorüber dem "Kiesberge", sich näherten. Was war das? Ein Knall wie aus einer überladenen Flinte war hörbar – eine Schneelawine hatte sich abgelöst und drei der Riesengrund-Männer verlieren den Boden unter den eigenen Füßen und in rasender Eile geht´s den steilen Hang hinunter. An einer Knieholzgruppe teilt sich die schiebende Masse, die Unglücklichen erfassen sie, aber da ist kein Halt. Mit ihr müssen sie weiter, denn das Geschiebe hat sie vom Grund der Sohle wie abrasiert. Der Gedanke, unrettbar verloren zu gegen, hatte sich aller bemächtigt – doch Gott hatte Erbarmen! Ein felsiger Vorsprung gewährt plötzlich Einhalt und festen Stützpunkt auf der unfreiwilligen Riesengrundfahrt, die stürzenden Massen teilen sich hier nochmals, verlieren mehr und mehr ihre verheerende Kraft und die Drei sind gerettet und mit einem großen Schrecken und einigen Hautabschürfungen glücklich der Todesgefahr entronnen. Die Geretteten erreichen unter weiteren Anstrengungen die entgegenkommenden Kameraden und die Riesenbaude. Bei solchem unverhofftem Glück im Unglück war naturgemäß das Trauerhaus zur momentanen Freudenstätte geworden. Da keine Zeit zu verlieren war, so konnte man sich dieser berechtigten Freude nicht ganz und voll hingeben.

Man hatte die Leiche in dem in der Baude aufbewahrten Tragkorbe, dem der Riesengebirgsverein für Unglücksfälle dort oben beschafft hat, transportieren wollen. Doch derselbe erwies sich bei seiner ziemlichen Breite auf diesen ungewöhnlichen Gebirgswege als unpraktisch, deshalb wurde eine Bettstelle trag- und fahrbar eingerichtet. Nun spannten sich drei Mann vor den Schlitten und ihnen vorweg schritten ihrer sieben bahnbrechend. Am "Goldbrunnen", in der Nähe des Lomnitzgraben, waren die größten Schwierigkeiten zu überwinden. Bis an die Brust sanken die Männer ein. Kniend bewegte man sich vorwärts. In kurzen Zeiträumen musste die Kameraden Halt machen, um auf einige Augenblicke frische Kräfte zur Fortführung der Arbeit zu sammeln. Man hatte große Mühe, den Gehängeweg hinab die Richtung nicht zu verfehlen, da die Telegrafenstangen oft wenig und gar nicht zum Vorschein kamen.

Am "Gehängbrunnen" musste man vor übergroßen Schneemassen vom Waldwege abgehen und im Gehölze sich durchschlagen. Um 9½ Uhr hatte man die Riesenbaude verlassen und erst gegen 2 Uhr konnte die Einsargung im Waldhause erfolgen. Ebenso schwierig war das letzte Stück bis zur Kirche Wang. Im Augenblicke war jede im Schnee hinterlassene Spur verwischt und wohl selten sind Leidtragende, Leichenbegleiter und Träger mit einer gewissen Freudigkeit an ein offenes Grab getreten, wie dies hier der Fall war. Da die Riesenbaude auf böhmischem Grund und Boden steht, so ist rühmend der Humanität zu gedenken, die der Herr Pfarrer von Grossaupa geübt, der der Bestattung diesseits kein Hindernis in den Weg legte."

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