Entnommen: "Aus Rübezahls Heimat" – Heimatblatt des Heimatkreises Trautenau

Wenn Riesengebirgler daheim starben

von Alois Tippelt

Nur noch in wenigen, von der weiten Welt abgeschiedenen Riesengebirgsdörfern, wie in Dörrengrund, Rehorn, Albendorf, Öwrkolwa, Kleinaupa, Keilbauden, Rennerbauden, Pommerndorf u. a. sowie in den versteckten Einschichten und kleinen Baudenhütten war der alte Volksglaube um Tod und Begräbnis lebendig geblieben.

Wir wussten aus gruseligen Erzählungen, dass Tote in schwer zugänglichen Tälern und Hütten des Gebirges bei schneereichen Wintern bis zur Schneeschmelze in den Häusern zurückgehalten werden mussten. So manch Fremder, der ungewollt eine stürmische Winternacht in einer entlegenen Baude zubringen musste, war zutiefst erschrocken, wenn ihm am anderen Morgen die Wirtsleute gestanden, dass schon seit Wochen eine Leiche im Hause liege. "Wider den Tod ist kein Kraut gewachsen" – und der gottesfürchtige Riesengebirgler wusste sich auch dareinzuschicken, der Welt "Lebewohl" zu sagen.

Für das Herannahen des Todes hatte er überdies seine weissagenden Zeichen: Blieb während des Gebetläutens der große Wandsäger stehen oder löschte ein Licht von selbst aus, so gab es bald eine Leiche im Haus. Gleiches stand bevor, wenn geschlagene Butter nicht hart werden wollte. Wer nachts ein Irrlicht sah, musste bald sterben. Wenn die Grillen zwischen 7 Uhr und 8 Uhr abends vor dem Wohnzimmer zirpten, wenn eine Nachteule am Fenster sich niederließ, dann gab es Krankheit oder eine Leiche. Wenn ein Bienenvolk im Sommer dreimal schwärmte oder ein Apfelbaum keine Früchte trug, so bedeutete dies Unheil. Wenn eine Henne sich zum Nachbarn verlief oder wenn Krähen um's Haus nisteten, dann drohten böse Krankheiten. Knisterte der Holzwurm zu stark im Gebälk, dann klopfte der Tod.

Totengräber wie Zimmerleute und Tischler waren zu Vorgesichten befähigt und wussten, wenn jemand zum Sterben kommen würde, denn es rührten sich die Schaufel oder das Seil in der Handwerkskammer, oder es klang die Säge, die die Bretter für den Sarg zu schneiden hatte.

Nahte dem vom Tod Gezeichneten wirklich das letzte Stündlein, so versammelte sich die Nachbarschaft um sein Bett und erwartete im Gebet sein Hinscheiden. Es wurde eine geweihte Kerze angezündet, damit die Seele zum gerechten Richter fand. In die Hände wurde ihm das Sterbekreuz gedrückt. Man besprengte ihn mit Weihwasser, damit er "es leicht habe". Konnte er nicht sterben, so holte man nochmals den Priester. War dieser nicht erreichbar, dann wurde ein Heiliger im lauten Gebete um Fürbitte angerufen. Trat der Todeskampf ein, durfte niemand mehr sprechen. War es endlich so weit, so wurden die Fenster geöffnet, damit die Seele die große Reise antreten konnte. Gebrechen wurden in der Todesstunde gemildert oder verschwanden vollkommen. Sprachbehinderte konnten normal sprechen, Schwerhörige hörten jeden Laut und Halbblinde wurden sehend. Goldene Sonntagskinder sahen den Kampf des Engels mit dem Teufel um die Seele des Sterbenden. – Dem Toten wurden die Augen zugedrückt, denn wenn ein Auge offen blieb, so suchte sich dieses aus der Freundschaft einen Gefährten für die Reise ins Jenseits. Dann hob man den Toten aus dem Bett und legte ihn auf den Fußboden. Das Totenweib wusch ihn mit gesäuertem Wasser und kleidete ihn an. Dem Manne gab man eine Zipfelmütze und der Frau das Brauthemd. Immer wurden Festtagskleider gegeben, die dunkel sein mussten.

Lederschuhe wurden nicht angezogen, dafür schwarze Glatt-Pantoffeln aus Papier oder dünnem Leder. Den Burschen steckte man ins linke Knopfloch ein Myrtensträußlein, den jungen Mädchen ließ man das Haar offen und schmückte es wohl auch mit einem bräutlichen Myrtenkranz oder mit Rosmarin und Thymian. Die Totenkammer musste verdunkelt sein. Der Kopf ruhte auf einem Kissen, in den Händen hielt der Tote das Sterbekreuz oder Rosenkränze. Die Verwandten legten ihm auch Heiligenbilder auf die Brust. Beim Weinen musste darauf geachtet werden, dass keine Tränen auf die Leiche fielen, denn diese brannten. – So blieb die Leiche drei Tage in der Kammer liegen. Im ganzen Hause durfte nur das Allernotwendigste gesprochen werden. Vor dem Schlafengehen wurden 2 bis 4 Wachskerzen angezündet oder ein Öllämpchen vor dem Marienbildnis. Die Gebete mussten laut gesprochen werden. Die im Riesengebirge nur wenig geübte Sitte der Totenwache übernahmen abwechselnd die Nachbarn. Etwa seit 1800 war selbe aus unseren Dörfern ganz abgetan worden.

An jedem Sterbefall zeigte immer das ganze Dorf eine ehrliche Anteilnahme. Sobald die Sterbeglocke läutete, unterbrachen die Leute ihre Arbeit, bekreuzten sich und sprachen zuweilen auch ein Gebet. Die in andern Gegenden übliche Sitte des Leichenansagens war im Riesengebirge nur ganz vereinzelt anzutreffen und schon gar nicht die Unsitte mit den Klagefrauen, ein unschöner Brauch, der meist in eine schnöde Hamsterei ausartete. Das Trauerhaus wurde gemieden, selbst die nächsten Anverwandten zeigten eine gewisse Scheu, dort hineinzugehen. Die Hinterbliebenen des Toten hatten aber alle Hände voll zu tun, um alle Arbeiten und Formalitäten für die Beerdigung zu erledigen. Da musste, der Leichenbeschauer bestellt werden, der Sarg in Auftrag gegeben, "Pattezettel" (Partezettel) bestellt, Blumen- und Kranzgebinde erstellt, die weiten Verwandten verständigt, Tag und Stunde der Beerdigung bei Pfarrer, Mesner und Totengräber festgelegt und die Trauerkleidung in Ordnung gebracht werden.

Am Beerdigungstage wurde nun der Tote im Vorhaus oder in der Wohnküche aufgebahrt, die durch besondere Leichentücher verhängt wurden. Das Begräbnis fand in der Regel an einem Vormittag, selten nachmittags statt. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass aus jedem Haus eine Person dem Verstorbenen das letzte Geleit zu geben hatte. Die Gebräuche vor, während und nach der Beerdigung waren örtlich etwas verschieden. Schon Stunden zuvor erschienen die Trauergäste vor dem Trauerhause, gesellten sich zu Gruppen und kondolierten den Angehörigen sichtlich ergriffen. Etwa eine Viertelstunde, bevor der Sarg geschlossen, wurde nochmals für den Toten laut gebetet und dann wurde er aus dem Hause getragen. Über der Türschwelle wurde der Sarg niedergestellt und dreimal im Namen des Vaters, des.Sohnes und des Heiligen Geistes übers Kreuz bewegt. Während dieser Zeremonie musste das Vieh im Stalle stehen und das Saatgetreide gerüttelt werden, sonst ging der Segen mit.

Fenster und Türen durften erst dann geschlossen werden, wenn der Tote aus dem Dorfe hinausgetragen worden war. In manchen Orten musste der Knecht sofort das Leichentuch verbrennen, damit der Tote nicht wiederkommen könne. Die Bahre trugen die Nachbarn oder Vereinsmitglieder. Waren die Kirche und der Friedhof weit entfernt, wie es bei den meisten hochgelegenen Riesengebirgsgemeinden der Fall war, wurde der Sarg in einem mit Silber oder Gold verzierten Leichenwagen gefahren. Hinter diesem formierten sich die Trauergäste nach dem Verwandtschaftsgrade zum Verstorbenen, Männer und Frauen teilten sich aber nicht. Vor dem Wagen schritten die Vereine und den Zug führte ein umflortes Kreuz an. Sobald dieser sich in Bewegung setzte, läuteten die Dorfglocken. Den Leichenwagen mussten grundsätzlich zwei Pferde ziehen, sonst gab es im nächsten Monat wieder einen Zug. Manchmal wurde vor Wegkreuzen gehalten und der Sarg mit Weihwasser besprengt. Muße der Kondukt durch andere Ortschaften, so läuteten in diesen ebenfalls die Sterbeglocken. Weitere Trauergäste reihten sich ein, in den Haustüren standen Leute, die sich bekreuzten und dem Leichenzuge nachdenklich nachschauten. Der Geistliche empfing ihn in der Regel am Ortseingang des betreffenden Kirchortes. Hier stießen weitere Vereinsabordnungen dazu und mitunter auch ein Musikzug, ein solcher aber nur dann, wenn der Verstorbene diesem angehört hatte oder ihn eigens für diesen Zweck vor seinem Ableben bestellt hatte.

In der Kirche wurde der Sarg vor dem Hochaltar aufgebahrt und mit einem großen schwarzen Tuch bedeckt, inzwischen gingen die Leute um den "Oppo". Nach den kirchlichen Zeremonien trugen Männer den Sarg zum vorbereiteten Grab, legten ihn hier auf die schmalen Querbalken, zwischen welchen breit lange weiße Tuchbänder mit Steinen beschwert waren. Das Hinablassen des Sarges erfolgte langsam und feierlich. Die Vereine erwiesen die letzte Ehre, die Hauptleute kommandierten "Zum Gebet!" War der Verstorbene ein Kriegsteilnehmer gewesen, so donnerte ein mehrfacher Salut, während die Musik den "Guten Kameraden" spielte. Ansprachen am offenen Grabe wurden selten gehalten, man überließ die Würdigung des Toten dem Priester. Waren dennoch solche vorgesehen, dann waren diese möglichst kurz. Zum Schluss sprachen die Trauernden den Dank aus und gingen als letzte vom Grabe.

Während die Musik mit klingendem Spiel zurück durch das Dorf marschierte, die Vereine sich auflösten und die Trauergäste sich verliefen, gingen die Angehörigen in das Haus des Verstorbenen oder in ein Wirtshaus zum sogenannten "Leichentrunk", wozu auch die Verwandten und Befreundeten geladen wurden. Dieser Trunk, der in einer derben Ausdrucksweise "`S Fahl vosaufa" benannt wurde, hatte nach altem Recht seinen Grund darin, wonach der Erbe sich erst dann in den Besitz der Erbschaft setzen konnte, wenn das "Erbmahl", der "Erbtrunk" gehalten war.

Auf die Beerdigung erfolgte meist schon anderntags ein Seelengottesdienst, das Requiem.

Das Volk verlangte, dass bei einer Beerdigung viel geweint wurde, geschah dies nicht, so war sehr bald eine "nasse" zu befürchten. Früher wurde auch das sogenannte "Leichengerechte" im Dorfe verteilt, mit der Bitte, als Dank zu des Toten Ruh zu beten. Die "Pattezettel" durften nicht aufbewahrt werden, sie mussten verbrannt werden. Kinder und Männer trugen je nach dem Verwandtschaftsgrade für eine bestimmte Zeit das Trauerband am linken Arm, während die Frauen noch lange die Trauerkleider trugen. Indessen wohnte über drei Sonntage die ganze Verwandtschaft einem gemeinsamen Gottesdienste in der Kirche bei. Das Bild des Verstorbenen war über ein Jahr mit einem schwarzen Bande verbrämt. Man enthielt sich streng allen Lustbarkeiten, selbst in den Spinnstubenabenden blieb man bei Scherz und Gesang sehr zurückhaltend, wenn man es nicht gar vielleicht vorzog, die heitere Spinnstunde zu verlassen.

Das Gedenken an den lieben Toten blieb immer lebendig und verpflanzte sich oft auf die folgenden Generationen.

Leider war der Volksglaube um Tod und Begräbnis des Riesengebirglers im letzten Jahrhundert gleich dem anderen Gebrauchsleben sehr verflacht worden.

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