Quelle: "Heimat." Beilage des "Volksbote", Trautenau; Jahrgang 1923
Wer jetzt eine Reise ins Riesengebirge
macht, der kann sich wohl kaum eine Vorstellung machen; mit welchen Schwierigkeiten
man im Gebirge vor hundert Jahren zu kämpfen hatte. Unter Wegweiser verstand
man damals die Führer, die man sich aus einem Dorfe mitnahm, Wegtafeln oder
unsere heutigen Wegweiser waren etwas ganz Seltenes. Ein großer Verdienst haben
sich in dieser Beziehung die beiden Riesengebirgsvereine erworben. Mit vielen
Opfern haben sie das Gebirge zugänglich gemacht, für die Wegmarkierung und auch
vielfach für die Unterkunft gesorgt. Im Interesse der Besucher ist es gelegen,
das was diese Vereine geschaffen haben, zu schützen und zu erhalten.
Im folgend will ich von der Riesengebirgsreise des Pflanzenforschers Phillipp
Maximilian Opiz erzählen, die er im Juli 1806 gemeinsam mit dem Ingenieur Harrant
gemacht hat. Außer mit dem nötigen Reisegepäck war er ausgerüstet mit einem
"Sehrohre" dem Reisepasse, einigen botanischen Taschenbüchern und
der Hoserschen Karte der Sudeten. Nach viertätigem Marsche war er aus seiner
Heimat am 2. Juli 1806 in Trautenau bei strömendem Regen angekommen. Gewiss
kein schöner Anfang für eine Gebirgsreise.
In Trautenau hoffte Opiz mit Dr. Karl Jos. Hofer zusammenzutreffen. Doch war
dieser bereits am 28. Juni ins Gebirge gegangen. Dr. Hoser, geboren 1770 in
Ploschkowitz bei Leitmeritz, gestorben 1848 in Prag, Leibarzt des Erzherzogs
Karl, den er auf allen seinen Feldzügen begleitete, war ein Bruder des Kaufmannes
Johann Hoser in Trautenau Nr. 136, des Großvaters des bekannten Buchdruckereibesitzers
Karl Hoser. Dr. Hoser hatte 18mal das Riesengebirge durchwandert und viele grundlegende
Bücher über das Riesengebirge, eines im Jahre 1804 mit einer Karte der Sudeten,
herausgeben Die letzte Verbesserung der Karte nahm er auf seiner achten Riesengebirgsreise
vor, die er im Dezeber 1800 unternommen hatte.
Trautenau hatte auf Opiz einen sehr guten Eindruck gemacht. "Schon hier",
schreibt Opiz, "findet man einen guten Schlag von Menschen, die sich durch
aufrichtiges dienstfertiges und zuvorkommendes Betragen empfehlen! Die Stadt
zählt viele reiche Personen und unter diesen auch einen angesehenen und vermögenden
Bürger und Handelsmann Herrn Falge, der jährlich 3 bis 400.000 Gulden im Handel
umsetzt. Dieser Mann kleidet sich so wie jeder andere Bürger, reicht seinem
armen Nachbarn die Hand und sagt: "Wie geht´s Bruder?" Er setzt
wohl einen Wert, in das Geld, aber noch mehr in den Menschen. Würde dies der
Bürger in jeder anderen Stadt tun? Ich glaube nicht. Denn jeder will sich da
über seinen Mitbürger erheben, jeder dünkt sich auf einer erhabeneren Stufe
zu stehen, wie sein Nächster, es entscheiden nur Geld, Ansehen oder Rang, Herz
und Geist aber machen den wahren Wert des Menschen. Sind diese niedriger Art,
so ist es auch die Stufe seines Rangs, rage sie äußerlich auch noch so sehr
hervor. Selten schätzt man den, welcher uns durch sein stolzes Benehmen zwingt,
uns vor ihm bis zur Erde zu beugen; aber gern huldigen wir mit Liebe dem, welcher
uns, ohne seiner Würde etwas zu vergeben, als Bruder behandelt. Die Gesellschaft
ist ja eine Kette, in der jeder Ring zu der Stärke des Ganzen beiträgt, der
einzelne ist nichts ohne die Verbindung des Ganzen."
Am 3. Juli wurde von Trautenau abmarschiert. Über Altstadt, Trübenwasser, Jungbuch
und Freiheit gelangte Opiz nach Johannisbad. Hier kam er mit den Ökonomieinspektor
Hoffmann aus Buchenwald in Schlesien zusammen, der ihm erzählte, dass in seinem
Wohnorte ein botanischer Garten sei, in dem 5000 Gewächse angepflanzt seien.
Der Ort Johannisbad gefällt Opitz gut, die Badequelle ist wirksam, nur auf die
damalige Badeeinrichtung ist Opiz nicht gut zu sprechen. Johannisbad gehörte
damals Baron von Silberstein. Nachmittags wurde der Schwarze Berg bestiegen.
Zum erstenmal findet Opiz, wie man sich im Gebirge beim Besteigen eines Berges
über dessen Höhe täuschen kann. Der obere Scheitel des Berges war von dürren
abgefallenen und gefällten Holze, dann von halbdürren abgestandenen Fichten
bedeckt, welche ein Heer von Flechten und Moosen auf ihre Oberfläche nährten.
Nach einem kurzen Verweilen auf dem Berge stiegen sie den Berg auf einer anderen
Seite wieder hinab, um noch Schwarzenthal zu erreichen.
"Am 4. Juli früh gingen wir", schreibt Opiz, "über den Bienerberg,
Ober-Langenau bis Hohenelbe, wo wir um 9 Uhr anlangten und über Mittag blieben.
Der Tag war trübe und einzelne Nebel umschwebten die geschwärzte Höhe des Spiegels
und Spitzberges, bis sich der Nebel in einen sanften, nicht lange anhaltenden
Regen verwandelte. Hohenelbe ist so zu sagen eine einzige an der Elbe gelegene
Gasse, in der man hie und da ein besseres Gebäude erblickt. Wir besuchten das
dem Grafen Morzin gehörige Schloss, in welchem die Mineraliensammlung und das
von dem Tischler Augustin Franz verfertigte Modell des Riesengebirges besichtigt
wurden. Im Schlosse sind Abbildungen von vier Bären zu sehen, von denen der
letzte 1726 im Gebirge erlegt wurde. Nachmittags marschierten wir weiter über
Ober-Hohenelbe, Ochsengraben, an den Toffelbauden vorbei gegen den Friedrichstaler
Eisenhammer zu bis zu den Spaltenbauden, wo wir um 7 Uhr abends ankamen."
Die Toffelbauden sind benannt nach ihrem Besitzer Christoph (Toffel), jetzt
heißen sie Tafelbauden. Die Spaltebauden sind ein Teil des jetzigen Ortes Spindelmühle,
von der Elbbrücke bis oberhalb der Brücke. Der Name Spindelmühle, richtiger
nach dem Besitzer Spindler. Spindlermühle, wurde zum erstenmale 1793 gebraucht.
In der Früh am 5. Juli wurde die botanische Ausbeute des vorigen Tages geordnet
und unter Führung des Johann Hollmann aus Toffelbauden der Weg über den Preiselberg,
die Schüsselbauden, den Korkonosch und großen Kesselberg fortgesetzt. Am Preiselberg
fand z. B. Opiz das Buschwindröschen blühend, das sonst eine der ersten Frühlingspflanzen
ist. Auf dem Wege gegen den Korkonosch fing es an zu schneien. Zum erstenmal
sah er hier das Knieholz.
In immerwährendem Schneegestöber erreichten wir die Koppe des großen Kesselberges.
Ueber ihn geht der Kommerzialfußweg, auf dem man Hals und Beine brechen kann,
nach dem schlesischen Fürstentume Jauer. Bei fortdauerndem Schneegestöber und
schneidendem Nordwind kamen wir, durch viele Sümpfe und Moorgründe watend, am
ganzen Körper nass und kalt zu dem Pantschefall. Große Granitfelsen dienten
uns in diesem Amphitheater zu Ruhesitzen, von denen wir die aus schwindelnder
Höhe herabstürzenden, weiß schäumenden Wassermassen betrachteten. Ich fand hier
noch alles mit Schneelagen bedeckt. Es schreckte uns hier der unvermutete Aufflug
eines Birkhuhns. Wir setzten unseren Weg fort zum Elbbrunn, wo wir einige Gläschen
des reinen Wassers tranken, dann über die Naworer Wiese zur Landesgrenze und
nach der alten schlesischen Baude. An der Grenze stand ein aus Granit geformter
Grenzstein, daneben lag eine Neutralitäts-Tafel, auf der ein preußischer Adler
und unter diesem die Worte Silesie neutre gezeichnet waren. Die Aussicht auf
das Schlesierland war herrlich.
Nach der Stärkung in der Schlesierbaude stiegen wir in Gesellschaft von einer
Kompanie Pascher wieder auf die Grenze hinauf. Wir erstiegen den ansehnlichen
Spitzberg oder Veigelstein, von hier gelangten wir zu den Grubenrändern, wo
man die kleine Primulaminima in ganzen Rasen bemerkte. Erst kamen wir zu den
Rändern der kleinen, dann zu jenen der großen Schneegrube, in der man beinahe
immer Schnee sehen kann. Endlich erreichten wir ganz in Nebel gehüllt die gefährliche
Höhe der großen Sturmhaube. Hier liegen die großen, losen Granitfelstrümmer
wie auf einem Steinhaufen ohne Ordnung hingestreut und in einer ungeheuren Menge
gehäuft. Man muss den Weg mehr hüpfend als gehend von Felstrümmer zu Felstrümmer
machen. Unter der großen Sturmhaube wurde die Agnetendorfer Schneegrube besucht
und im Moorgrund watend kehrten wir über die Mädelwiesen an den Hofbauden vorbei,
durch den Bärengrund nach Spaltebauden zurück. Mit ermüdeten Gelenken warf ich
mich auf mein Heulager nieder und ließ mich am Morgen erst durch die Strahlen
der schon hoch am Horizonte stehenden Sonne in der Ruhe stören.
Erst nachmittags am 6. Juli brachen wir auf. Wir marschierten über den Mädelsteg,
im Weißwassertale, durch den Krummseifengrund auf die Kleine Sturmhaube, über
den Lahnberg, an der Teufelswiese vorbei, auf die Weiße Wiese bis zur weißen.
Am Lahnberg genossen wir das Vergnügen, die Riesenkoppe zu Gesicht zu bekommen.
Meine Pflanzenlese war an diesem Tage sehr ärmlich. Auf der Weißen Wiese sah
ich nur hie und da einen Keim der Vegetation. In der Wiesenbaude ward meine
Aufmerksamkeit ganz dem Gedenkbuche, welches unter dem Namen Koppenbuch bekannt
ist, geschenkt.
Im Koppenbuche fand er zu seinem Erstaunen für den 6. Juli eingezeichnet: Dr.
J. K. E. Hoser, Leibarzt Sr. K. H. des Erzherzogs Karl. Er hatte kurz zuvor
die Wiesenbaude verlassen.
Am Morgen des 7. Juli um 3 Uhr begannen wir die Ersteigung der Riesenkoppe.
Man sah nichts als das uns am Wege treu bis zum Fuße der Koppe begleitende Knieholz
und den Fußweg zum Gipfel. Der Weg dauerte eine Stunde. Allmählich schwand das
Dunkel, schweigend erhoben sich gleich Inseln die Koppen der nächst gelegenen
Berge; in immer höherem Farbengemisch verbreitete sich die Morgenröthe, nähere
Wolken vereinten das Blau mit dem Rot und verloren sich in tausend Farbentönen
in dunkles Grau. Auf einmal trat die Sonne hervor, der Hintergrund war Feuer
und ein Meer von aufsteigenden Dünsten sein Vorgrund. Die Konturen der Berge
waren schon mit dem freudigen Rot umfasst. Während ihr Fuß sich in finstere
Nacht tauchte. Endlich in immer sanfter und sanfter werdenden Schattierungen
trennte sich die Nacht von der Erde. Gegen Böhmen zu lag das Land in immer mindernden
Höhen, gegen Schlesien verlor sich das Auge in schroff absteigenden Tiefen.
Nachmittags verließen sie die Koppe und stiegen herab durch den Blau- und Riesengrund
nach dem Petzkrätschen. Der Brunnberg und der Blaugrund gaben reichlich botanische
Ausbeute.
Am 8. Juli botanisierte Opiz um den Petzer, bei Großaupa und Marschendorf und
setzte dann seinen Weg über Freiheit, Jungbuch, Trübenwasser und Altstadt bis
Trautenau fort, wo er gegen Abend nach einer 6tägigen Reise im Gebirge mit seinem
Reisegefährten Harrant ankam.
Am 9. Juli verließen sie Trautenau und marschierten über Hohenbruck, Koken,
Jaromer ihrer Heimat zu, wo sie am 12. Juli ankamen. Bei seiner Ankunft wurde
ihm die traurige Nachricht zuteil, dass am 20. Juni sein Bruder Karl Hermann,
kaiserlicher Reichskammergerichts-Notarius in Wetzlar, gestorben war.
Seine "Reise in das Riesengebirge" hat Opiz in einer Handschrift hinterlassen,
welche in der Bibliothek des Landesmuseums in Prag aufbewahrt wird.
Im Jahre 1812 unternahm Opiz gemeinschaftlich mit Wilhelm Erxleben aus Landskron
eine zweite Riesengebirgsreise, bei der er besonders Rübezahls Lustgarten und
das Teufelsgärtchen durchforschte. Auf seiner Rückreise besucht er auch Schatzlar
und Adersbach.