von Paul Kutzer
Wenn ich den Namen "Riebezahl"
höre, so lacht mir allemal mein altes Schlesierherz. Es umweht mich ein
unvergleichliches Stück Heimatzauber. Erinnerungen werden in der Seele
wach, an verklungene Tage, lenzgrüner Jugend, als meinem aufhorchenden
Knabenherzen der erste Märchenlaut entgegenklang. Stunden werden im Geiste
lebendig, die ich als Sommerfrischler in Riebezahls ureigenern Reviere verlebte.
Da war es mir oft, als hörte ich hinter einem verschwiegenen Felsspalt
des neckenden Berggeistes heimlich-schadenfrohes Panslachen
Es liegt eine tiefe Tragik in der Geschichte unseres Helden, den die Schlesier
so ganz zu ihrem "Eigen" gestempelt haben, mag ihn auch noch so buntfarbiger
Schimmer und geborgter Aufputz aus dem Sagenschatze und von dem Hüllkleide
mythologischer Gestalten von ganz Deutschland zieren. Die kritisch-forschende
Sichtung erkennt zwar immer mehr, wie wenig Urtümliches in den über
ihn kursierenden Erzählungen vorhanden ist. Und es ist auch nicht leicht,
bis zu dem Urgrund dichtender Volksphantasie zu steigen. Denn die Quellen aus
ferner Vergangenheit schweigen. Und wie der Blauschimmer seiner gigantischen
Bergwelt umschwebt ihn die Gloriole eines gestürzten Herrschers und Kronenhauptes.
Aber das eine mag nur über ihn gesagt sein. Er ist ein Verwandlungskünstler!
Oder vielmehr- die fabulierende Menge, das unbeholfene Dichterstammeln einer
verflossenen Kulturperiode hat ihn zum proteusartigen Allerweltskerl gestaltet,
zum Kosmopoliten und Mischprodukt, zum Sammelbecken und Hexentopf, aller möglichen
Märchen, wie sie damals ganz Deutschland durchquerten, besonders, im Mittelalter,
im 16. Jahrhundert, der Blütezeit der Münchausiaden und Schwankliteratur,
als auch Dr. Faust, Till Eulenspiegel und der Rattenfänger von Hameln ihre
Triumphe feierten.
Riebezahl war einmal nichts anderes, als der oberste, gewaltige germanische
Gottkönig und Himmelsvater Wodan, der Wütende, der
im Sturmwind mächtig dahinbraust. Da war er der Nachtjäger. Das war
in der Heidenzeit, als man ihn noch kurz "Riebe", den "Rauhen",
nannte. Aber die christlichen Priester konnten ihn nicht leiden. Noch hielt
er in den Herzen der Neubekehrten feste Ruhstatt. Sie wollten von ihrer alten
Lieblingsgestalt nicht lassen. Da degradierten ihn die Geistlichen nicht nur
zum Dämonen, sondern machten ihn auch beim gläubigen Volke verächtlich
und hingen ihm einen lächerlichen Schwanz an, einen "Zal".
So war der "Riebe zal" fertig. Aber erst der Folgezeit war
es voll und ganz vorbehalten, unter der Hand des fabulierenden, lustig-sagenverschmelzenden
Schlesiervolkes die uralte mythologische Gestalt, den germanischen Windgott
und Sturmdämon, wieder zu frischem, neuem Leben zu erwecken und mit dem
farbfrohen Sagenkranz buntschillernder Romantik zu umgeben, mit konglomeratartig
sich ansetzenden Erzählungen von niederen Geistwesen ... Er blieb nicht
nur der Kollege von Knecht Ruprecht!! ... Der einäugige Wolkenwanderer
mit Schlapphut! ...
So ist denn Riebezahl der Sage nach nicht nur ein Wodansreflex. Er erscheint
auch als ein "starker Mann", ein handfester Trinker, der auf einmal
eine Butte Bier leert, wie ähnliche Züge vorn Donar berichtet werden
und in der Volkserinnerung wurzelten ...
Vielleicht und anscheinend war seine Mittellinie die des schalkhaften
Waldschrats, des Kobolds, der gern die Leute neckt. Diese Wesensart und
Natur scheint bei ihm besonders ausgebildet und entsprach auch ganz dem derb-biederen
Sinn des Schlesiers, der gern zu launigen Späßen aufgelegt ist, und
seiner humorvollen Art. Eine Menge Ulkstreiche wurden da erzählt. Bald
schreckte er die Wanderer durch böses Wetter und führte sie irre.
Bald praktizierte er einem Handwerksburschen silberne Löffel in den Ranzen.
Ja, sogar: er stirbt, nachdem er sein Testament gemacht hat, verhöhnt aber
die Leute noch im Sarge. .
Doch von dieser Form wuchs er sowohl nach unten, wie nach oben hinaus. Er ward
zum verhutzelten, stricknadelbeinigen, buckligen Zwerg zum verbutteten Menschen
und wilden Mann mit zottigen Haaren, aber auch zum kleinen, spannengroßen
Erdmännlein, einem Homunkulus vergleichbar. Doch wuchs er auch hinaus ins
Riesenhafte, womit die Germanen so gern ihre Berge bevölkerten, zum stolzen
Giganten, der of mit goldenen Kegeln dem Sonnenscheine spielte.
Als Zwergkönig aber beschenkt er die armen Leute mit unscheinbarem Laub
das sich in Gold verwandelt.
Das phantasievolle Mittelalter stand besonders im Zeichen des Zauberglaubens
und der Hexenkunst. Als Zauberer konnte Riebezahl verschiedene Kunststücke
zur nicht geringen Überraschung der Zuschauer ausüben. Es war ihm
ein leichtes, ein Bein auszureißen und damit Holz zu hacken, Pferde in
Strohwische zu verwandeln, einen Baumstamm vorzutäuschen, auf den sich
der Harmlose setzte. Als Hexenmeister aber konnte er gut Wetter machen, wie
es alle Hexen verstanden. Er war eben Meister und stand seinen Mann darin. Kein
Wunder, wenn ihn die christlichen Leute überhaupt als Teufel ansahen, als
den leibhaftigen "Gottseibeiuns", den man gern abbildete mit Hirschgeweih,
Kuhschwanz und Bocksbeinen. So erscheint er als Beibild und Gebirgsstaffage
auf der ersten Landkarte Schlesiens von 1561. Das Bocksbein rührt her von
den griechischen Satiren. Wir dürfen es den Bergleuten im Stollen des Schwarzen
Berges nicht übel nehmen, wenn sie ein Kruzifix zum Schutze gegen ihn aufgehängt
hatten. Er ward zum schreckhaften "Meister Hämmerlein", zum Klopfgeist.
Natürlich ist Riebezahl im Riesengebirge nach 1500 ein echter Bergbau-
und Bergwerksgeist geworden. Burklehner sagt uns in seiner Tiroler Chronik 1642,
daß er aus dem Harz stammt und von da eingewandert sei. Indessen trugen
schon in Süddeutschland um 1230 in Würzburg Personen
ihren Namen nach ihm. So erscheint in diesem Kopialbuch ein Träger dieser
mythologischen Bezeichnung. Das erstemal finde ich unseren Berggeist um 1566
erwähnt in des Irenäus "Wasserspiegel". Um 1500 bereits
kommt bei Rastenburg im Ermlande dieser Name als Ortsname vor, ein Beweis für
den innigen Zusammenhang des alten Ordenslandes Preußen mit dem schlesischen
Kolonisationsgebiet, welches zur Bevölkerung dieser Gegend viel beitrug
und auch einen Teil seiner Ortsnamen lieferte. Dort hatte er sein Domizil zumeist
im Erdinnern, ohne sich viel an die Oberfläche zu wagen. Man müsste
nur besser unterscheiden zwischen Bergwerksgeist (unterirdisch) und Berggeist
(überirdisch). So kannten die Ober‑ und Niederdeutschen, die Schweizer,
Tiroler, die Böhmen und Ungarn, die Meißener und Harzer ihren Geist.
Er war psychologisches Erleben der Bergleute in der Einöde des Erdinnern,
Ergebnis der gespannten Sinne abergläubischer Gemüter. Der rege Austausch
der Bergbaugebiete sorgte dafür, daß ihm bis Schweden hinauf der einheitliche
Charakter gewahrt wurde. In den Silberbergwerken von Trient den nachweisbar
ältesten ist seit dem 10. Jahrhundert die deutsche Bergmannssage
entstanden und hat sich mit der von den Venedigermännchen den Geist-Bewohnern
des Venedigers in den Alpen, dessen Name der Begriff des Vermummten anhaftet
allmählich, über ganz Deutschland verbreitet. So dachte man
ihn denn gern auch als Bergmann verkleidet, mit der Kapuze auf dem Kopfe, die
ihn zum "Mönch" machte, mit Keilhaue, Schurzfell und Grubenlampe
versehen. Das machte ihn zugleich zum, schatzbehütenden Gebieter, dessen
sich die Wälschen besonders annahmen, um andere von dem Edelsteinsuchen
abzuhalten. Sie wandelten seinen Namen verwalschend in Ronzevall und Rubisko.
Ein gleiches Interesse hatten an ihm die Wurzelsucher. Name und Gewerbe der
Wurzelgräber waren aber deutscher Herkunft. Zuerst nachweisbar sind sie
im Salzburgischen. In Krummhübel kommen Familiennamen vor wie: Gemsjäger
und Schlingel ...
So wurde Riebezahl schließlich auch zum überirdischen Berggeist,
d. h. Berg-Geist, zur wandernden Nebelbildung und zum Wolkenphantom. Wie die
Riesengebirgler heute noch ihren "Mützling" kennen! In köstlichem
Jugendglauben! ...
Die letzte Ausgestaltung und Erscheinungsform der Sage aber erfuhr erst die
Neuzeit. Da ward er zum albernen Bergfex herabgedrückt, angetan mit Bergschuhen,
Wadenstrümpfen, grauem Rindenhut, Jägerjoppe und Lodenmantel, mit
riesigern Wirrbart und einem kräftigen Bergstock. So haftet der Bergesalte
am besten in der Vorstellung von uns Schlesiern und kursiert in dieser Gestalt
auf Ansichtskarten und ungezählten Geschenkartikeln der Riesengebirgswelt.
...
So haben wir in Kürze den Werdegang und, die Staffeln, die Stufenleiter
seines reichen Entwicklungsprozesses vor Augen geführt und gekennzeichnet.
Die spätere Bergmannssage des Mittelalters verwischte völlig sein
altes Ursprungsbild. Aus germanischer Grundvorstellung erwachsen, kam er mit
der christlich-dualistischen Weltauffassung durchaus nicht in Widerspruch. Denn
Geistglaube löst die Seele los vom Körperlichen und macht ihn zur
unerlosten Seele, die umherirrt bis zum jüngsten Tage. Vielleicht
vielleicht so orakeln die Wundergläubigen ist er der Geist
eines venetianischen Juden, eines verwünschten Liegnitzer Schusters oder
eines Alchemie treibenden Warmbrunner Zisterziensermönches...
Aber unter aller Vermummung, Umkleidung und mißfallenden Verbrämung
spüren wir doch noch in ihm den heißen Pulsschlag des Herzens unserer
gottgläubigen Vorfahren, der naturfreudigen Germanen. Nur sie waren imstande,
eine solche Wundergestalt zu schaffen, die als Sturmgeist über grüne
Tannenwipfel streicht und bei dessen Nahen man sich ehrfurchtsvoll hinlegte,
um die wilde Jagd über sich ergehen zu lassen. Vom Götterkönig
bis zum Hanswurst! Vom Wode bis zum Bergfex! Das ist in der Tat ein seltsamer
Werdeprozeß, ein merkwürdiger Fall. So endet der Ruhm der Welt. Es
geht Riebezahl wie allen entthronten Herrschern . . . Aber noch schimmert in
seiner Sage deutlich erkennbar trotz aller koboldianischen. Narrheiten
und Unarten der mythologische Wesenskern hindurch: die sagenspendende
Gottheit und der Geber alles Guten. Und der ethische Kern seiner Geschichten
ist es eben, der ihn uns zur Lieblingsgestalt aller Deutschen und Schlesier
macht und der auf das empfängliche, Kindergemüt seinen unverfälschten
Zauber ausübt und seine befruchtende Wirkung nicht verfehlt. Aus ihm spricht
zu uns, deutlich vernehmbar, die deutsche Seele und das deutsche Naturempfinden.