Quelle: Riesengebirgsheimat – Heimatblatt für die ehemaligen Kreise Trautenau und Hohenelbe – 8. Folge, August 1951

Skisegeln an der Wiesenbaude

Von Herbert Beutel

Wohl kein Gebirge Mitteleuropas eignete sich so ideal zum Skisegeln als gerade das wellige Hochplateau rings um die Wiesenbaude im Riesengebirge. Und doch mußten Jahrzehnte vergehen, ehe dieser Pionierarbeit voller Erfolg beschieden war.

Es war das Jahr 1929. An der Wiesenbaude kam ein neuer Sport zur Geltung. Mein Onkel Eugen Bönsch, der bekannte Kampfflieger des ersten Weltkrieges, flog seine Segelflugzeuge über die Höhen des Riesengebirgskammes und bildete mit dem später berühmten Edmund Schneider aus Grunau bei Hirschberg, dem Erbauer der ersten Wiesenbaudensegelflugzeuge, und einem Prager Fluglehrer die ersten Segelflieger aus. Auch ich gehörte zu den ersten geprüften Segelfliegern und bekam dadurch ein besonderes Interesse für Auf‑ und Fallwinde sowie Winddruck am Hang. So kam ich auf die Idee, nicht nur segelnd zu fliegen, sondern auch mit Skiern zu segeln. Unter Anleitung meines erfahrenen Flugonkels baute ich mir den ersten Skisegelapparat. Er bestand aus einem Trägergestell, eine Art Rucksackgestell, an dem durch Scharniere zwei Flügel ‑ Schmetterlingsform ‑ aus Sperrholzplatten beweglich befestigt waren: die ich mit Griffen bei ausgestreckten, seitlich waagerechten Armen festhalten konnte. Alter Anfang war schwer, und mancher Flügel brach und begrub mich unter seinen Trümmern. Neue Flügel wurden in verschiedenen Größen unentwegt gebaut. Man nannte mich in dieser Zeit spöttisch den Amorherbert. Da fand ich durch Zufall am Boden zwei riesengroße und starke Bambusstangen, an deren Ende noch Ringe befestigt waren. Mein Onkel Emil Bönsch, der ja schon Jahrzehnte vor mir auf der Wiesenbaude war, konnte mir diesen rätselhaften Fund erklären. Kein Geringerer als Herr Geheimrat Dr. Weinhold aus Breslau, ein treuer, lieber und verehrter Gast der Wiesenbaude bis in sein hohes Alter, hatte damit vor Jahrzehnten sein erstes Skisegel gebaut. Es war ein Dreiecksegel von riesiger Größe, und wohl Rübezahl selbst hätte damit Erfolg haben können. Mir gaben jedoch diese beiden Stangen, die einen langen Dornröschenschlaf auf der Wiesenbaude gehalten hatten, neue Ideen, neuen Mut und Hoffnung.

Seit die Segelflugzeuge "Wiesenbaude I und II", die "Krummhübel", die "Burkbraun", der Zweisitzer "Bad Warmbrunn" im friedlichen Flug über Grenzen flogen, kamen auch bekannte Flieger zur Baude. Wolf Hirth landete in der Nähe der Wiesenbaude, und die Weltrekordfallschirmpilotin Lola Schröter landete bei einem Bergturnfest im Fallschirm an der Wiesenbaude. Lola Schröter verschaffte mir aus einer Flugzeugfabrik Leichtmetallstangen und ein Berliner Segeltucherzeuger die Leinwand zum Bespannen des Segels. Es entstand das erste schnittige, leichte und handliche Skisegel "Wiesenbaude l".

Jedem neuen Anfang und Beginnen stand wohl Rübezahl mit Grollen entgegen. Er wehrte sich mit seinen Kräften in langer Zeit, wenn Eindringlinge aus Tälern und Städten und Kinder seiner Berge sich erkühnten, in sein Heiligtum und stilles Bergreich im menschlichen Ansturm einzudringen. Auch Flugzeuge stürzten, Segelflugzeuge zerbrachen, Skisegel zerflatterten, Lawinen rollten, und Sportler des Skisports kamen oft in schwere Bergnot. Doch Rübezahl söhnte sich wohl mit allen aus, und Mittler wurden seine Bergkinder, die still und bescheiden ihr herbes, entbehrungsreiches Leben in nimmermüder und regsamer Schaffensarbeit sich seinen Gesetzen liebevoll unterordneten und so Rübezahls Reich erschlossen, das der Kraftquell und Gesundbrunnen so vieler Menschen wurde.

So stand auch unserem Skisegeln nach vielen Mißerfolgen doch noch ein beachtlicher Erfolg zu. Von Norden, Osten und Westen strömten Rübezahls Druckwinde mit unverminderter Kraft zum Hochplateau, und bald fuhren wir mit dem richtigen Skisegel wie Rübezahls Kobolde umher, und mancher Skifahrer wird an Spuk geglaubt haben, wenn wir bei Nebel in eilender Geschwindigkeit an ihm gespensterhaft vorbeihuschten.

Unsere langerprobten Segel hatten eine Größe von 3,5 bis 4 Quadratmeter. Die beschafften Leichtmetallstangen wurden in T‑Form aneinandergeschweißt, an deren Enden sich ebenfalls Ringe zum Festhalten der gespannten Leinwand befanden. Die Leinwand wurde beschriftet, und so hatten wir schon eine kleine Regatta von 4 Skisegeln.

Im Windschatten der großen Wiesenbaude gingen wir zum Start. Die Skier in leichter Stemmstellung, kämpfte man schon gegen den ersten Winddruck an. Im Schlittschuhschritt ging es nun in den vollen Wind, der uns mit steigender Geschwindigkeit den Brunnberg hochtrieb. Es war nicht leicht, bei voller Geschwindigkeit und stärkstem Winddruck das Segel vom Körper (Rücken) zu bekommen. Dies mußte ruckartig geschehen, um es, mit der linken oder rechten Hand hochhaltend, im Winde flattern zu lassen. Dieser Augenblick war stets an der Anblaskante am Gipfel des Brunnberges gegeben. In voller Fahrt, das Segel hochhaltend und im Winde flattern lassend, fuhren wir um die Amalienruh', das Gipfelwahrzeichen des Brunnberges, herum, um in Schußfahrt wieder abwärts zu gleiten. Verpaßte man diesen Augenblick an der Anblaskante, wurde man in fliegender Geschwindigkeit gegen den Blaugrund gejagt. Dann waren schwere und schmerzliche Stürze unvermeidlich. Doch bald hatten wir den großen Bogen heraus. Wir lernten auch das Kreuzen und fuhren mit, gegen den Wind sowie quer zum Hang. Dies war wohl die schneidigste und mutigste Phase beim Skisegeln. Mit Rückenwind zur Amalienruh', ging es nach dem Wenden in Schußfahrt wieder abwärts. Am halben Hang wurde ein langgezogener Kristiania gedreht, warf in diesem Augenblick das Segel wieder halbseitlich auf den Rücken und querte in voller Geschwindigkeit den Hang, mit dem Körper nicht zum, sondern vom Hang im starken Winddruck des Segels sozusagen liegend. Ließ der Winddruck nur wenig nach, gab es auch hierbei schwere Stürze.

Meine treuen Regattakameraden waren die Skilehrer der Wiesenbaude, von denen vor allem Otto und Gustl Berauer mit ganz großem Können das Skisegeln meisterlich und vollendet beherrschen. Otto Berauer erreichte bei Rauhreifschnee eine gestoppte Geschwindigkeit von 90 Stundenkilometer, und Gustl, nahm mit seinen Rübezahlskräften 5‑7 Skifahrer am Seil mit. Die Strecke Heinrichbaude‑Wiesenbaude (3 km) durchfuhren wir mit Rückenwind in drei Minuten. Nach jedem längeren Start hatte man einen ungewöhnlichen Muskelkater der Rückenmuskeln, die bei diesem Sport wohl am meisten in Anspruch genommen wurden. In einer Dankbarkeit, die mein ganzes Leben durchzieht, gedenke ich heute besonders meines besten und treuesten Bergkameraden Otto Berauer, des Sohnes der Berge und wahren Kameraden in manch schwerer Bergnotstunde.

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