Quelle: Schlesische Bergwacht im April 1985

Der "Mittelrücken" des Riesengebirges

von Erhard Krause, Berlin

Am Mittagstein (1423 m), der den Heumachern im Lomnitz- und Eglitztal als natürliche Uhr diente, nimmt der sogen. "Mittelrücken" des Riesengebirges seinen Anfang, der den großen Hirschberger Talkessel in zwei Täler teilt, das der Lomnitz (östlich) und das des Zacken (westlich). Es handelt sich dabei um eine von der Natur selbst geschaffene Treppe, die mehrere Hauptstufen hat und von Norden nach Süden in gerader Linie und mit allmählicher Steigung auf den Ostflügel des Gebirges mit der Schneekoppe zustrebt. Die oberste Hauptstufe dieser Naturtreppe befindet sich bei der Schlingel- bzw. Hasenbaude (1067 m), die nächste bei der Brotbaude (820 m). Dann folgt die große Senkung bei Hohenzillerthal zwischen Seidorf und Arnsdorf, nach welcher sich der Bergzug wieder erhebt und ein unregelmäßiges Hügelland mit dem Prudelberg (484 m) bei Stonsdorf als höchsten Punkt bildet.

Weiterhin wird die Hügelkette an einer niedrigen Stelle von der Straße Hirschberg-Erdmannsdorf überquert, setzt sich über den Schlossberg (449 m) im Grünbusch und den Kramsta- oder Kreuzberg (440 m) in einzelnen Erhebungen fort, um schließlich in der Anhöhe des Gnadenkirchhofes der Stadt Hirschberg als tiefsten Punkt der Treppe zu enden. Von touristischer Bedeutung ist der Mittelrücken dadurch, dass schon vor Jahrhunderten die Gebirgsreisenden diese "Treppe" zum Aufstieg auf den Kamm und Übergang nach Böhmen benutzten. Bei der St.-Anna-Kapelle (668 m) bei Seidorf vereinigten sich die Zugänge von Hirschberg und Warmbrunn zu diesem ältesten "Koppenwege", der an der Brotbaude vorbei über die Knüppelbrücken von Brückenberg zur Hampelbaude hinaufsteigt, in welcher der Schlüssel der Schneekoppenkapelle verwahrt wurde.

In neuerer Zeit, in den Jahren vor und nach dem 1. Weltkrieg, hat man diesen alten Koppenweg über den Mittelrücken zu einer Kunststraße ausgebaut, welche sich der Westseite des Bergzuges anschmiegt und die wegen der sich bietenden landschaftlichen Schönheiten auch heute noch eine der beliebtesten Routen der Riesengebirgswanderer ist. Die Fahrstraße beginnt im südlichen Teile von Hirschberg mit der Steinstraße (benannt nach den Freiherrn vom Stein) und folgt zunächst der Schwarzbach, die sie hinter den letzten Häusern der Stadt überschreitet. Beim Kilometerstein 2,6 zweigt ein mit städtischen Siedlungshäusern besetzter Weg ab, der in wenigen Minuten in das Dorf Schwarzbach hinabführt, das sich 2 km lang am gleichnamigen Bache hinzieht.

Gleich am Anfang des Dorfes befindet sich das frühere Dominium, das Eigentum der Stadt Hirschberg war. Das Herrenhaus des Gutes (fr. Schaffgott´scher Besitz) ist ein altes Renaissanceschloß aus dem Jahre 1559 mit Turm. Es zeigte vollendete, gut erhaltene Steinmetzarbeiten, darunter 8 Wappen und zierliche Ornamente am Eingangstore und alte Inschriften im Flure. Dicht bei dem Schlosse befand sich das beliebte Kaffeehaus "Zum Küchel" und an der Erdmannsdorfer Straße das abseits gelegene Gasthaus "Zur Schweizerei". – Unsere Straße zieht weiter am ehem. Gasthaus "Zum Felsen" bzw. der Abruzzenbaude vorbei, später an einer verfallenen Ziegelei vorüber, am Abhang des Stephansberges entlang und erreicht mit prächtigem Blick auf das Gebirge nach 5 km Stonsdorf (360 – 450 m).

Das etwa 2 km lange Dorf mit alter Simultankirche und ehemals 3 Dominien (Nieder-, Mittel- und Ober-Stonsdorf) ist sehr schön in parkartiger Hügellandschaft im Vorgebirge gelegen. Die Stonsdorfer Brauerei, der gegenüber der aussichtsreiche Prudelberg sich erhebt, war früher berühmt durch das in großen Felsenkellern gelagerte Stonsdorfer Bier und den 1810 zuerst in der Brauerei gebrannten "Stonsdorfer Bittern", der später (seit 1868) im nahen Cunnersdorf hergestellt wurde. Die 1388 urkundlich erwähnte Dorfkirche in Mittel-Stonsdorf mit Glocken von 1593 und 1597 ist eines der ältesten Gotteshäuser Schlesiens. Einmal monatlich fand katholischer und sonntags regelmäßig evang. Gottesdienst in ihr statt. Das Pfarrhaus bewohnte der evang. Pastor.

Vor dem früher dem Prinzen Reuß gehörigen Schlosse in Ober-Stonsdorf teilt sich die Straße: geradeaus nach Osten geht es durch die parkartige Landschaft nach Erdmannsdorf, während unsere Kunststraße rechts nach Süden umbiegt, den Friedelberg mit einigen Biegungen umgeht und nach dem nördlichsten Zipfel von Seidorf (375 – 800 m) geleitet, den sie nach 9,5 km erreicht. Seidorf, einst die Wiege der Damastweberei im Riesengebirge, ist ein 3 km langes, gewerbereiches Dorf mit zwei Kirchen, das sich am Gebirgsrand von der breiten Ebene in einem steilen Tale hinaufzieht. Die kath. Kirche des Ortes ist alt. Sie besaß Glocken von 1514 und 1524. Wegen seiner geschützten Lage wurde das Gebirgsdorf, zu dem die außerhalb des Ortes am Gräberberge gelegenen St.-Anna-Kapelle gehört, viel als Sommerfrische besucht und besaß Krankenkassen-Genesungsheime.

Am Anfang des Dorfes mündet die Warmbrunner Straße und zwischen den beiden Kirchen die Giersdorfer Straße, die nach Arnsdorf weiterführt. Unsere Kunststraße führt zunächst am Dorfbache weiter, verlässt dann aber die Häuserzeile, wo bei 400 m die stärkere Steigung am schluchtartigen Bachbette beginnt, und zieht in weitem Bogen über die Felder der Vorberge, um später wieder in den oberen Teil des Dorfweges einzumünden. Danach macht sie mehrere weit ausladende Schleifen, mit denen sie die oberhalb des Dorfes reizend gelegene Landhaussiedlung "Annahöhe" durchzieht und steigt dann gleichmäßig, dabei ständig herrliche Talblicke bietend, am Abhänge des Scheibenberges hinan zur (14 km) Kolonie Hainbergshöh (626 m).

In dieser Baudenkolonie luden das vielbesuchte Gasthaus "Hainbergshöh" mit aussichtsreicher Terrasse und dicht daneben, an einer aus der Zeit der Buschprediger bekannten Felsgruppe, die "Predigersteinbaude" die Wanderer zur Rast ein. Es münden hier die Wege, die vom Endpunkt der Straßenbahn in Giersdorf durch den Rothengrund bzw, die Ida-Esche durch schönen Bergwald herauf führen. Auch zweigt hier eine Straße nach den Barberhäusern (2 km) ab. Unsere Bergstraße zieht weiter durch Wald. aufwärts nach den Raschkenhäusern (727 m) und von dort in einer letzten Kehre hinan zur Brotbaude (820 m), die rechts am Wege auf einer Paßhöhe mit schönem Blick auf den Kamm mit der Schneekoppe lag.

Neben dem alten, ursprünglich 1668 gegründeten Gasthaus, der einstigen "Krebsbaude", stand das neue moderne Gast- und Logierhaus der Brotbaude mit Zentralheizung, Autohalle, Restaurant, Cafe und Fremdenzimmern. Benachbart ist der Brotbaude, die kommunal zu Seidorf gehörte, die Brückenberger Kolonie "Neuhäuser" mit Sommerwohnungen. Auf der Kunststraße geht es nun am aussichtsreichen Hang entlang abwärts an der Kirche Wang (19 km) vorbei durch Brückenberg, dessen Häuser zerstreut am Berghange liegen. In 40 Minuten erreichen wir von der Kirche Wang über "Rübezahls Kegelbahn" die Schlingelbaude (1067 m) und befinden uns somit auf der obersten Hauptstufe des "Mittelrücken". Gegenüber der an einer Waldwiese gelegenen neuen Schlingelbaude von 1894 befand sich die Jugendherberge "Bergähnlein" des RGV, und 5 Minuten nördlich die Hasenbaude, die gleichfalls Jugendherberge des RGV war.

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