Quelle: "Riesengebirgsheimat" Jahrgang 1950 und "HohenelberHeimatbüchlein"
Von Vinzenz Hampel
Eine schlichte Weise, die in guten
und schlimmsten Zeiten die Sudetendeutschen und Schlesier wie ein treuer Freund
begleitet, ist des Riesengebirglers Heimatlied. Zwei Lehrer, beide Söhne der
schönen Gebirgsheimat, haben das Lied in den Jahren 1914 und 1915 geschaffen:
Othmar Fiebiger schrieb die Worte, der Verfasser dieses Berichtes die Weise.
Fiebiger erzählte gerne, wie er auf einer Kammwanderung in der gemütlichen Peterbaude
eingekehrt war, wo wie immer die Zither klang und die Gäste manches
Lied mitsangen, aber keines vom Riesengebirge dabei war. Er schlich hinaus in
die Bergeinsamkeit und schrieb im Anblick der wunderbaren Bergwelt:
Bloe Barche, grüne Täler, mitta drin a Heisla kleen; herrlich is dos Stückla Erde, und ich bin ja dort drheem |
Und noch am selben Abend las er seinen Freunden in der Baude vor:
O mein liebes Riesageberche, wu die Elbe so heimlich rinnt, wu der Rübezohl mit seinen Zwergen heut´ noch Sagen und Märchen spinnt. Riesageberche, Riesageberche, meine liebe Heimat du! |
Die Dialektdichtung wurde im Jahre
1914 in der Festschrift des Trautenauer Gesangvereines "Harmonie"
anlässlich seines achtzigjährigen Bestandes erstmalig abgedruckt.
Im Frühling 1914 übernahm ich eine neue erzieherische Aufgabe in dem aufstrebenden
Bergstädtchen Hohenelbe und trat dort in kunstfreundliche Kreise ein. Ich erlebte
damals eine Blütezeit der Liebhaberbühne unter der Leitung des begabten Willy
Jerie und sah in würdigen Aufführungen Goethes Faust, Schillers Teil, Kleists
Hermannschlacht, Hebbels Nibelungen, Gerhart Hauptmanns Versunkene Glocke und
den Fuhrmann Hentschel. Für die Hauptrolle wurden öfters erstklassige Schauspieler
aus Wien und Dresden gewonnen. Die "Liedertafel" stand unter
den strebsamen Obmännern Fritz Plech und später Dr. Hubert Schrimpl über dem
Niveau der Gesangvereine. Erstklassige Künstler wurden zur Mitwirkung bei den
Konzerten eingeladen. Auch im Vereine selbst gab es gute Kräfte. Der lyrische
Tenor Hans Göllner sang gern ernste Lieder. Der Chordirektor Rudolf Rösler,
dem stets die Augen feucht wurden, wenn er von Mozart und seiner Kunst sprach
oder reden hörte, phantasierte öfters am Flügel. Dr. Roedl huldigte der heiteren
Muse; Sang und Begleitung waren bei ihm aus einem Guss und wirkten prächtig.
Das Soloquartett des Vereines (Göllner, Müller, Zinecker und Arloth) wurde auch
auswärts gerne gehört. In diese Kreise trat ich mitwirkend ein.
Der erste Weltkrieg brach aus. Die Reihen der Sänger lichteten sich. Um den
restlichen Chor beisammen zuhalten, sorgte man für eine gemütliche Nachprobe.
Für diesen kleinen Kreis vertonte ich Fiebigers Dichtung vom Riesengebirge.
Ich hatte das Lied für mich, für meine Singstimme, geschrieben und dachte nicht
daran, dass es einmal in die Welt ziehen könnte. Die Dialektform ist mir heute
nicht mehr geläufig, ich gebe das Lied in der Schriftsprache wieder.
In ruhig gehenden Achtelnoten ahmte ich den stets bedächtigen Riesengebirgler
nach und führte die Melodie im gleichen Rhythmus aufwärts.
Im Refrain versuchte ich den Inhalt der Verse auch in den Tönen anzudeuten,
soweit dies in der liedmäßigen Stimmführung möglich war. Wie die Bergwellen
steigt die Melodie an (1., 3. und 5. Verszeile), die Elbe zieht talwärts, deshalb
fällt auch die Melodie der 2. Zeile, die Sagen und Märchen überspannen gleichsam
das Gebirge, die 4. Zeile steigt im auffallenden Bogen empor, der Schluss ist
der Ausdruck tiefer Heimatliebe. Als ich das Lied das erstemal den Freunden
vorsang, war der Erfolg unerwartet günstig. Einige Urlauber, die damals zufällig
anwesend waren, gestanden mir ihre tiefe Rührung ein. In den folgenden Nachproben
musste ich immer wieder das Lied singen. Bald verlangten die Sänger, das Lied
vierstimmig zu singen. Ich schrieb es für Männerchor mit Baritonsolo, und so
wurde es Mitte März 1915 erstmalig öffentlich aufgeführt. Von dieser Zeit an
zog das Lied weitere Kreise über Hohenelbe hinaus.
Auf dem Gebirge sang ich das Lied erstmalig in der Wosseckerbaude am Westhange
des Reifträgers. Mit den Wirtsleuten Endler war ich befreundet. Der Wirt war
von der Weise gerührt; ich musste sie ihm zum Abschied noch einmal vorsingen.
Dann begleitete er mich ein Stückchen auf dem Wege zur Elbequelle, blieb einmal
stehen und zeigte auf den felsigen Gipfel des Reifträgers mit den Worten: "Dort
oben müsste eine Baude stehen!" Der erste Weltkrieg ging verloren, Österreich
zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Endler wurde aus der Wosseckerbaude verdrängt,
und bald darnach begann er auf dem Gipfel mit Hilfe deutschböhmischer Freunde
die Baude zu bauen; es wurde eine der schönsten Bauden im Gebirge. Er genoss
sie nicht lange. Ein Sprichwort sagt: Ist das Haus fertig, dann kommt der Tod.
Endler war ein stiller, in sich gekehrter Mann. In einem Anfalle von Schwermut
beschloss er sein Leben. Sein letzter Wunsch, am Grabe das Heimatlied zu singen,
wurde ihm erfüllt.
In Hohenelbe und Umgebung war das Lied zu einer Volksweise geworden, lange bevor
es gedruckt wurde. Um das Jahr 1920 erschien das Lied in Liederbüchern. Daraufhin
wurde die Klavierausgabe einem Musikverlag angeboten, der es mit der Begründung
ablehnte, dass ein Heimatlied nur einen kleinen Abnehmerkreis habe. Da gab ich
im Selbstverlag eine Liedkarte und die Ausgabe für Gesang und Klavier heraus.
Ich konnte beobachten, wie in Nordböhmen eine Stadt nach der andern von dem
Lied erobert wurde und wie es auch über die Berge hinüber nach Schlesien drang.
Schöne Erinnerungen knüpfen sich an jene Zeiten. Die Kinder sangen die Weise
im Freien. Ein Bauer fuhr auf dem Feld und pfiff das Lied vor sich hin. Als
ich durch die Felsenstadt Wekelsdorf wanderte, klang das Lied aus einer Flachsbreche,
Mädchen sangen es bei der Arbeit. Nach Beendigung des Gesanges sagte ich zu
den Mädchen, dass ich das Lied vor einigen Jahren komponiert habe. Man sah sich
erstaunt an und lachte dann spöttisch: "Ja, das könnte jeder sagen!"
Mir wurde an jenem Tage bewusst, dass ich mit dem Liede den schlichten Menschen
eine kleine Freude in das Leben gebracht hatte. Bald darauf erschien das Lied
auf Schallplatten. Der Dirigent Dobrindt nahm es in die Rundfunkprogramme der
"Schönen Weisen" auf. Der Dichter Hans Christoph Kaergel führte das
Lied in die literarischen Werke ein. Aus dem Heimaterfolge wurde ein deutscher.
Zu Anfang der dreißiger Jahre bekam ich aus Brasilien die Nachricht, dass das
Lied als Männerchor bei einem Wettsingen den ersten Preis errungen habe. Der
Mitteilung lag eine Spende für die von mir geleitete Anstalt bei.
Das Volk sang sich die Weise zurecht, und beim Anhören der rhythmischen oder
melodischen Veränderungen staunte ich, wie folgerichtig sich die Schöpferkraft
des Volkes auswirkte. Auf diese Art sind wohl in alten Zeiten unsere Volkslieder
zugeschliffen worden. Als Beispiel bei meinem Liede führe ich eine Veränderung
der Melodie im dritten Takte an, die ich einem Freunde abgelauscht und in die
nächstfolgenden Auflagen aufgenommen habe. Bei dem Heimatliede zeigten sich
auch mancherlei Auswüchse: es wurde als Walzer getanzt, ein Kapellmeister machte
einen Marsch daraus; aber das Lied war nicht umzubringen.
An dem Texte wurde wenig geändert, man hat lediglich statt der Wiederholung
des Wortes Riesengebirge in der vorletzten Zeile des Refrains "schönes
Gebirge", "Märchengebirge" oder "deutsches Gebirge"
gesungen. Die letzte Fassung wurde gedruckt. Die Tschechen nahmen daran Anstoß
und verboten die öffentliche Aufführung des Liedes. Das Volk aber sang das Lied
um so lieber. Es verband die Menschen innig mit dem Boden und schlug auch eine
Brücke zu den stammverwandten Schlesiern jenseits der Berge.
Nach dem Umbruch im Jahre 1938 klang das Lied öfters im Rundfunk. Bald aber
merkte man, dass es an höheren Stellen zurückgesetzt wurde, und begründete es
damit, dass die Weise slawischen Charakter habe. Man nahm Anstoß an dem Rübezahlbilde
des Hohenelber Malers Fritz Hartmann, das alle Ausgaben schmückte, es entspräche
nicht dem Bilde des Berggeistes, das im Volke lebe. Der Verlag Ehrler &
Co., der das Lied 1938 übernommen hatte, musste alle Liedkarten einstampfen
und die Druckplatten der Polizei übergeben. Auf die Verbreitung des Liedes hatte
diese Maßnahme keinen Einfluss, das bewiesen die Wunschkonzerte im Winter 1941/42,
in denen das Lied weit über zweihunderttausend Mark einbrachte.
Das Schlimmste, was den heimattreuen Menschen treffen kann, ist die Vertreibung
von der Scholle. Das Lied zog mit Millionen Menschen in die Fremde. Und wo auch
die Riesengebirgler zusammenkommen, da erklingt ihr Lied in alter Wärme und
belebt die Herzen. Nun singt man auch zwei neue Strophen von einem unbekannten
Dichter:
Für uns schlug die bitt´re Stunde, aus dem Tal sind wir verbannt, das von allen uns´ren Ahnen heil´ge Heimat wird genannt. Wieder blühen Anemonen, Habmichlieb und Enzian, doch es freut kein deutsches Auge in der Heimat sich daran. Leb wohl, mein liebes ... |
Betend rufen wir zum Himmel: Vater, höre unser Flehn, lass nach dieser Zeit der Prüfung uns die Heimat wiedersehn! Und der Herrgott wird es geben, dass der rohe Hass vergeht, dass die schwarzrotgoldne Fahne wieder auf der Koppe weht. Oh, mein liebes ... |
Der Wert des Liedes liegt doch nur darin, dass es die heimattreuen Menschen
angenommen und sich zu eigen gemacht haben und es zu allen Zeiten hochhalten.
Ist die Geschichte des Heimatliedes zu Ende?
Nein, die Zeit schreibt sie weiter!