Einreicher: Theodor-Friedrich Müller

Die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien

(mit einer Statistik und drei Karten)

Von Paul Ullrich

Teilweise Abschrift ( ohne Tabelle): Theodor-F. Müller, Januar 2005

Auslanddeutschtum und evangelische Kirche, Jahrbuch 1936, Seite 235 – 241,  incl. Tabelle bis  S. 267

– Evangelische Kirche Trautenau / Trutnov siehe Trautenau und Kirche –

Die deutsche evangelischen Böhmens, Mährens und  Schlesiens sind in der "Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien" zusammengefasst.  Diese, eine Nachfolgerin der alten österreichischen Kirche, musste sich nach dem unglücklichen Ausgang des Weltkrieges vom Wiener Evangelischen Oberkirchenrat lösen. Auf dem ersten Kirchentag in Turn 1919 wurden die Grundsätze einer Deutschen Evangelischen Kirche in der Tschechoslowakischen Republik  aufgestellt: "Sie sollte eine Volkskirche sein, die sich zu dem Evangelium Jesu Christi und zu den Grundsätzen der Reformation bekennt. Nach außen eine geschlossene Einheit, sollte sie nach innen jeder Bekenntnisgemeinde Freiheit zur Wahrung ihrer geschichtlich gegebenen Eigenart geben. Evangelische anderen Volkstums sollten  sich  nur   anschließen  können,  wenn sie die völkische Eigenart der Kirche anerkennten".   [1] ) Auf dem 1920 gleichfalls in Turn stattfindenden Kirchentag wurde die neue Kirchenverfassung geschaffen, mit welcher sich die Kirche auf das Lutherische Bekenntnis stellte.

Erst am 7. August 1924 gelangten die Verhandlungen mit der Prager Regierung über die Kirchenverfassung zum Abschluss. Da die deutschen Evangelischen der Slowakei ihren Anschluss an die deutsche evangelische Kirchenleitung durch Verbot des tschechischen Staates nicht vollziehen durften und mit den slowakischen und ungarischen Evangelischen der Slowakei zusammenbleiben mussten, [2] ) war man gezwungen, den  ursprünglichen Titel "Deutsch Evangelische Kirche in der Tschechoslowakischen Republik" in "Deutsche Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien" abzuändern. Die deutsch Kirchen- und Unterrichtssprache konnte verfassungsmäßig festgelegt werden. Die Wahl der Pfarrer, eine Bestätigung der Mitglieder der Kirchenleitung, sowie die Gründung neuer Pfarrgemeinden hängt jedoch von der Zustimmung der Regierung ab.

Bevor wir den Aufbau der jungen sudetendeutschen Kirche behandeln, wollen wir kurz die Gliederung ihrer Vorgängerin, der "Evangelischen Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in Österreich"  [3] ) betrachten. Die evangelische Kirche A.B. unterteilte Böhmen in drei Superintendenzen, die westliche, östliche und Ascher Superintendenz. Die westliche Superintendenz zählte 30 Pfarrgemeinden, 4 Filialgemeinden, 105 Predigtstationen mit insgesamt  41.752 Seelen. Der östlichen Superintendenz unterstanden 15 Pfarrgemeinden, 8 Filialgemeinden, 11 Predigtstationen mit 13.015 Seelen. Zur Ascher Superintendenz gehörten 3 Pfarrgemeinden, 3 Predigtstationen mit 27.391 Seelen. Mähren und Österreichisch-Schlesien bildeten eine gemeinsame Mährisch-Schlesische Superintendenz, die in ein Brünner, Zauchteler und Schlesisches Seniorat gegliedert und die zahlenmäßig stärkste war. 124.347 Seelen verteilten sich auf 43 Pfarrgemeinden, 7 Filialgemeinden und 40 Predigtstationen. Die evangelische Kirche H. B. war vornehmlich über das tschechische Sprachgebiet der historischen Länder verbreitet, und gliederte Böhmen in eine Superintendenz mit 4 Senioraten, dem Prager, Poděhrader, Chrudimer und Časlauer Seniorat, bestehend aus 60 Pfarrgemeinden, 8 Filialgemeinden, 48 Predigststationen und 77.378 Seelen. Mähren, in ein östliches und ein westliches Seniorat aufgeteilt, zählte 45.552 Evangelische H. B: in 28 Pfarrgemeinden, 4 Filialgemeinden und 19 Predigststationen.

Die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien, welche "die Minderheiten der Reformierten und der Sekten, ohne die unvolkstümliche Bezeichnung A. und H. B. mit dem Mindestmaße der im Protestantenpatent gewährten Rechte, wiederum mit Anlehnung an die alte Kirchenverfassung, doch mit folgerichtiger Durchführung des synodalen Gedankens (Kollegialsystem) und der Mitwirkung des Laientums umschließt [4] ), gliedert sich in 6 Kirchenkreise. An ihrer Spitze stehen Kirchenräte und Kirchenausschüsse. Die vom Kirchentag gewählte Kirchenleitung  [5] ), die ihren Sitz in Gablonz an der  Neiße hat, setzt sich aus dem auf Lebenszeit gewählten geistlichen Kirchenpräsidenten und den geistlichen und weltlichen Oberkirchenräten zusammen.

Die gesamte Kirche umfasst nach dem Stand vom 01.August 1935   69 Pfarrgemeinden, 32  Zweiggemeinden und 118 Predigtstellen und zählte am 01. Dezember  1930 [6] ) einschließlich der nach Asch eingepfarrten bayrischen Dörfer mit 1.200 Evangelischen: 132.383 Seelen. Im Jahre 1928 kamen auch die Evangelischen des durch den Versailler Vertrag der Tschechoslowakei zugesprochenen Hultschiner Ländchen, nachdem sie sich von der preußischen Landeskirche lösen mussten, zu de sudetendeutschen Kirche. Sie besitzen in Zauditz eine Zweiggemeinde, in Hultschin eine Predigtstelle. Die zuständige Pfarrgemeinde ist Troppau. Deutsche gemischtsprachige Gemeinden befinden sich in Mährisch-Ostrau, Friedek und Tschechisch-Tetschen. Die Mehrzahl der deutsch-slonzakischen Gemeinde Tetschen [7]) spricht polnisch.

Von den nach der Volkszählung vom 01.Dezember 1930 in Böhmen, Mähren und Schlesien ansässigen 3.070.938 Deutschen ist also nur ein kleiner Bruchteil evangelischer Konfession, ungefähr 4 v. H. [8] ). Trotzdem  zeitigte die Übertrittsbewegung für das Jahr 1934 ein günstiges Ergebnis. 3.078 Übertritte in die Deutsche Evangelische Kirche, davon 80 v. H. aus der römischen Kirche, ist seit Bestehen der jungen sudetendeutschen Kirche erreichte Höchstzahl. Welche Bedeutung ihr für die Erhaltung der Kirche zuzumessen ist, lässt ein  flüchtiger Blick auf die Bevölkerungsbewegungen in den Sudetenländern erkennen. Der Überschuss an Lebendgeburten über die Todesfälle betrug 1921  1.312, 1934 nur noch 287, er sank also von 12 v. T. auf 2.19 v. T. Den Ursachen nachzugehen ist hier nicht der Platz; soviel sei jedoch bemerkt, dass sie fast ausschließlich  in dem furchtbaren Wirtschaftselend  zu suchen sind, das seit einigen Jahren in den  deutschen Gebieten der Tschechoslowakei herrscht.

Mit den in Anhang befindlichen Karten über die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien setzt die Kirchenstatische Abteilung des Instituts für Grenz – und Auslandsstudien in Berlin – Steglitz die im Vorjahr an gleicher Stelle begonnene Veröffentlichung fort  [9]).

Tafel I, eine allgemeine Übersichtskarte, der das Ergebnis der amtlichen Volkszählung der Tschechoslowakischen Republik  vom 01. Dezember 1930 zugrunde gelegt wurde, zeigt das deutsche, tschechische und polnische (slonzakische oder besser schlonsakische) Sprachgebiet in Böhmen, Mähren und Schlesien. Unter Sprachgebiet ist hier das Gebiet aller politischen Gemeinden mit über 50 v. H. des betreffenden Volkes zu verstehen [10]). Das deutsche Sprachgebiet in den drei Landesteilen der Tschechoslowakei ist absichtlich weiß gehalten. Auf diese Weise soll der unmittelbare Zusammenhang mit dem deutschen Mutterboden im Deutschen Reich und Österreich ersichtlich werden. Das tschechische und das polnische Sprachgebiet heben sich durch ein besonderes Raster ab. Das polnische Staatsgebiet und die Slowakei sind in der Darstellung unberücksichtigt gelassen.

Außer den Staatsgrenzen und den Landesverwaltungsgebietsgrenzen sind in die Karte die Grenzen der 6 Kirchenkreise eingezeichnet. Der Ascher Kirchenkreis, der räumlich kleinste von allen, ist der Seelenzahl gerechnet nach der größte mit insgesamt 29.025 Evangelischen. Westböhmischer und Mährischer Kirchenkreis erfassen zwar über die Hälfte des Gesamtgebietes, sind aber zahlenmäßig die kleinsten Kreise der Deutschen Evangelischen Kirche. Der Westböhmische Kirchenkreis zählt 18.391, der Mährische Kirchenkreis gar nur 9.997 Seelen. Zahlenmäßig an zweiter Stelle steht der Mittelböhmische Kirchenkreis mit 28.514 Seelen, ihm folgen der Ostböhmische und Schlesische Kirchenkreis mit 25.227 bzw. 21.229 Seelen. Einige Kirchenkreise gehen über die Grenzen der Landesverwaltungsgebiete hinaus, so der Mährische Kreis, der nach Böhmen und Schlesien übergreift, der Ostböhmische Kreis, dem die Predigtstelle Mährisch – Rothwasser mit Umgebung angehört, und der Schlesische Kirchenkreis, der kleine Teile von Mähren mit einbezieht.

An Orten wurden in diese Karte nur solche eingetragen, die als Hauptstützpunkte der Deutschen Evangelischen Kirche angesehen werden müssen. Dazu gehören vor allem die Pfarrgemeinden mit evangelischer Schule: Eger, Aussig, Bodenbach, Prag, Teplitz-Schönau, Gablonz an der Neiße (Außerdem Sitz der Kirchenleitung und des Kirchenpräsidenten), Hermannseifen und Brünn. Sie sind besonders kenntlich gemacht. Zwei Übersichtskreise ergänzen das Kartenbild.

Tafel II gibt einen Gesamtüberblick über die Gemeinden der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien. Es wird hier nach Pfarrgemeinden, Zweiggemeinden und Predigtstellen unterschieden. Die Größe der einzelnen Gemeinden ist ebenfalls mit sieben einander verschiedenen Zeichen angegeben. Die Karte zeigt in Ergänzung zu Tafel I und der in nachfolgend aufgeführten Statistik  enthaltene Spalte "Gemeindebereich", dass die Kirche, außer  im Ascher Land eine weit zerstreute Diasporakirche ist.

Den beiden Übersichtstafeln folgt als letzte eine Karte, die als Gegenstand ihrer Darstellung einen einzelnen Kirchenkreis hat. Dass die Wahl auf den Ascher Kreis fiel, hat seine Berechtigung. Haben doch drei der ihm gehörenden  Gemeinden mehr als dreidreiviertel Jahrhunderte überdauert. Es sind die Gemeinden Asch, Fleißen und Rossbach. Außer den beiden Predigtstellen Grün und Thonbrunn haben sämtliche Gemeinden eine eigene Kirche. Die von Asch wurde am ersten Advent 1749 geweiht [11]). Zu den für Tafel II gewählten Zeichen kommt lediglich ein neues hinzu, das die Religionsunterrichtsstellen außerhalb des Amtssitzes der Pfarrgemeinden Asch, Fleißen und Neuberg darstellt. Die unter der Ortsbezeichnung aufgeführte Zahl gibt das Jahr an, in welchem die betreffende Gemeinde gegründet wurde.

Die Darstellung der übrigen Kirchenkreise musste unterbleiben, da sie über das Format der in diesem Buche veröffentlichten Karten hinausgeht. Das kleine Format bedingte auch die teilweise Verwendung von zahlen an Stelle von  Ortsnamen  (siehe Tafel II). Die Endgültige für den Atlas vorgesehene Fassung der Karten schließt diesen Notbehelf aus.



[1] D. Erich Wehrenfennig in einem Aufsatz über "Die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien", veröffentlicht in dem seit 1926 von Pfarrer Lic. Otto Waitkal, St. Joachimsthal, herausgegebenen, nach dessen Ableben im Verlag des Evangelischen Bundes zur Wahrnehmung der deutsch-protestantischen Interessen in der Tschechoskowakischen Republik erscheinenden "Deutschen Volkskalender für Böhmen, Mähren und Schlesien", 1930.

[2] Die deutschen Evangelischen aus Pressburg und der Zips, ungefähr 40.000 an der Zahl, sind über  30 Gemeinde verstreut.

[3] Nach dem Stande vom Dezember 1908

[4] Georg Loesche: "Geschichte des Protestantismus im vormaligen und neuen Österreich", 3. Aufl. Wien / Leipzig 1930

[5] Sie bedeutet nicht etwa, wie D. E. Wehrenfennig bemerkt, "eine Wiederholung des früheren Oberkirchenrates in Wien; es ist mehr eine mit den Gemeinden in beständiger Fühlung bleibende Arbeitsgemeinschaft frei gewählter Kreise, die, abgesehen vom Präsidenten, ihren Dienst nebenamtlich und unentgeltlich tun."

[6] Zweite seit Bestehen der Tschechoslowakischen Republik vorgenommene amtliche Volkszählung.

[7] Außer dieser zur deutschen evangelischen Kirche gehörenden Gemeinde bestehen noch zwei weitere evangelische Pfarrgemeinden  in Tschechisch-Tetschen, eine kleine tschechische, die sich ein Gotteshaus gebaut hat, und eine polnisch-nationale, die ebenfalls einen eigenen Pfarrer hat und zum "Evangelischen Seniorat A. B. in Ostschlesien" gehört, die Gottesdienste aber in der Jesuskirche in Polnisch-Tetschen besucht.

[8] Die andersvölkischen evangelischen Kirchen der Tschechoslowakischen Republik zählen über 900.000 Seelen und sind zu einem evangelischen Kirchenbund zusammengeschlossen.

[9] Karl C. von Loesch und Paul Ullrich: "Die Darstellung des evangelischen Auslanddeutschtums" in "Auslanddeutschtum und evangelische Kirche", Jahrbuch 1935, S. 84 – 114. Die neueren Karten sind nicht etwa das Ergebnis der im verflossenen Jahr geleisteten Arbeit an dem bereits angekündigten Protestantischen Atlas zu werten. Ist doch die statistische Bearbeitung Europas nahezu abgeschlossen. Bereits i Frühjahr 1937 werden zwei Karten größeren Ausmaßes vorliegen, von denen eine über die Verbreitung und Organisation der deutschen Evangelischen in Europa, die andere (gleichfalls auf Europa beschränkt) über die Verteilung der Konfessionen berichten wird.  

[10] Vgl. Dr. A, Oberschalls "Sprachenkarte der Tschechoslowakischen Republik, I. Sudetenländer: Böhmen, Mähren – Schlesien", 3. Aufl. Prag

[11] Ein kurzer geschichtlicher Abriss findet sich bei Georg Loesche a.a.O., S. 433 ff.

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