Quelle: Sudetendeutschen Zeitung, Ausgabe ?

Die Gebirgsbauden in Schlesien

Giengen. Nicht nur die alteingessenen Schlesier, sondern ebenfalls viele andere, die einst aus den verschiedensten Gebieten des früheren deutschen Reichsgebiets eine Reise nach Schlesien unternahmen – Schlesien war bekanntlich ein ganz herrliches Reiseland – erinnern sich von ihren Bergtouren an die zahlreichen Bauden, von denen nachstehend, in Erinnerung an die alte Heimat, die Rede ist. Nun geht es mit Riesenschritten dem Frühling entgegen, und damit beginnt auch in unserer Gegend die Hauptwanderzeit. In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, zu erfahren, dass die vielen, gut ausgebauten Wanderwege, und vor allem die oft stilvollen Wegweiser dort von großen Wanderorganisationen als Vorbilder übernommen worden sind.

Die "Bauden" sind als Gaststätten und Unterkunftshäuser in ihrer Art nur dem Riesengebirge eigentümlich. Häuser, die unter gleichen Namen anderwärts nachgeahmt wurden, kommen zumeist ihren Vorbildern nicht nahe. Das ist aus der Entstehung, dem Bedürfnis und der Verwendung der Riesengebirgsbaude erklärlich. Es gibt, wie nur wenige Wanderer wissen, eine winzige Ortschaft, die das Wort "Bauden" als Namen hat. Diese kleine Gemeinde liegt im Zwischenbereich des Iser- und Riesengebirges unweit der Weißen Desse am Wege von Josefsthal zum Forsthaus Wittighaus, dort, wo der Weg von Albrechtsdorf über den Farbenberg einmündet. Wer diese wenigen Häuser beschaut, der durchschaut den Begriff "Baude".

Die Bauden waren ursprünglich Bauten von Holzhauern und Hirten, die sich als Lohnarbeiter eigene Wohnstätten nur aus Holz mit Fundamenten aus Natursteinen errichten konnten. Sie dienten zugleich der eigenen Bauern – das heißt auf der Gebirgshöhe Viehwirtschaft. Aus dem wetter- und weitenbedingten Bedürfnis von wandernden oder fahrenden Reisenden, Schutz, Übernachtungsgelegenheit und Verpflegung zu erhalten, entstanden aus diesen hochgelegenen Familienheimen Gaststätten für Rast- und Ruhebedürftige, Verirrte, Flüchtlinge, oder auch Schmuggler usw., die mehr begangene Straßen im Tal oder Umwege meiden wollten.

Die hohe und entlegene Lage so entstandener Bauten oder "Bauden" brachte durchaus nicht immer Verkehrsarmut, sondern im Gegenteil, zumal in unruhigen Zeiten, wenn man die Zweckmäßigkeit dieser Gaststätten überdenkt, vielfach eine starke Benutzung, die aus Bedarf entsprang und die Baudenbewohner zur Beschaffung genügender Verpflegungsvorräte und zur Erweiterung der Unterkünfte veranlasste. Sie erkannten die zusätzlichen Einnahmen, die ihnen aus dem Verkehr von Fremden, dem "Fremdenverkehr", erwuchsen, früher als manche Rast- oder Gaststätte im Tal, weil die in der Höhe des Gebirges Vorüberkommenden auf ihre Hilfe vieler Art angewiesen waren.

Es kommt hinzu, dass das Riesengebirge zu aller Zeit eine Grenze war, nicht immer politisch, aber eine hohe Naturmauer von nicht unbeträchtlicher Länge, die zu umgehen weite Umwege erfordert hätte. Aus dieser Sachlage entwickelten sich bestimmte Abkürzungswege, frühe "Pässe", die für kurze und vor Widersachern sichere Pfade am besten "passten" und auf denen auch zu "paschen", also schmuggeln war. An diesen oft stark benutzten Wegen ergaben Lage und Bedarf die vermutlich ersten, sicherlich aber die größten und meisten Bauden. Als die älteste dieser Bedarfsrast und Gaststätten, dieser "Bauden" kann der "Fürstenkretscham" in Michelsdorf im Kreis Landshut angesprochen werden, also gewissermaßen vor dem Anstieg der alten Straße von Liebau über den "nur" 725 Meter hohen Pass nach Schmiedeberg. Seine Grundmauern stammen etwa aus der Mitte des 11. Jahrhunderts. Hier war der "Ausspann" und "Vorspann" für die Fuhrwerke, die über das Riesengebirge strebten. Der Verkehr musste zunehmen, als 1294 Liebau zu einer gebirgsnahen Stadt wurde und als frühen Magneteisenerzfunde der jetzigen "Bergfreiheitgrube" im oberen Schmiedeberg (das zwar erst 1514 "Stadt" wurde!) so ergiebig waren, dass die zahlreichen Bergknappen bereits 1225 eine eigene Kirchenkapelle errichteten.

Während der "Fürstenkretscham" vermutlich schon vielhundertjährig mit frühen Braugerechtsamen, "Kretscham" geheißen haben wird, kaum "Baude" deswegen trotz seines Baudengepräges und erst nach den Befreiungskriegen "gefürstet" wurde, weil Hardenberg und der verbannte Stein hier in geheimen, Zusammenkünften die Erhebung vorbereiteten, behielt eine wohl ähnlich alte Baude über Schmiedeberg, nahe der Passhöhe, ein ehrwürdiger Bau, der gleichfalls dem Bedarf entsprang seinen Namen "Paßkretscham" bei.

Der frühzeitige Bergbau oberhalb Schmiedebergs und seine Ausdehnung, die das Heranziehen von Arbeitskräften auch aus dem damals volkreicheren Böhmen notwendig machte, und der Materialienbeförderungsweg auf der "Eisenstraße" zwischen Schmiedeberg in Schlesien und dem schon 1136 begründeten kohlreichen Städtchen Schatzlar in Böhmen über das "Rehorn" erklären, dass gerade im östlichen Riesengebirge ein Bedarf, für die 1050 m hohe Siedlung entstand, die allen Schlesiern als "die Grenzbauden" vertraut wurde.

Hier rasteten schon vor Jahrhunderten die Bergleute, aus den Gruben Schmiedebergs und Schatzlars auf vielstündigem Anmarsch- und Heimwege zusätzliches Geld zu dem kargen Ertrag aus ihrer kleinen Land-, sprich Viehwirtschaft, für ihre meist zahlreichen Familien holten. Dort auch waren übrigens, durch winterliche Schneemenge und Wegweite bedingt, die heutigen "Rodel", noch aus selbst "gerodetem" Holz gefertigt, als erleichternde Beförderungsmittel schon jahrhundertelang heimisch. Man nannte sie allerdings, wie K. J. Weber 1828 in seinen Reisebriefen "Deutschland" überzeugend schildert, ebenso wie das Rodeln selbst "Ramassen" nach dem französischen "ramasser", weil diese natürlich noch recht primitiven Schlitten, die niemand stahl, am unteren Ende der Abfahrtswege "gesammelt" wurden, wie etwa heute die Fahrräder vor den Fabriken Sammelplätze haben. Von den altvertrauten, teilweise weltbekannten Bauden westwärts und auf dem Kamm des Riesengebirges, die ebenfalls nichts zu tun haben mit der deutschen "Bude" oder dem tschechischen "bouda", sondern wirklich Bauten aus "Bauden" wurden, ist zweifelsfrei die "Wiesenbaude" die weitaus älteste. Sie entwickelte sich aus einem einst einsamen und Viehwirtschaft betreibenden Wohn- und Rasthaus, wie eingangs als typisch dargelegt wurde. Da es mitten im Dreißigjährigen Kriege, im Jahre 1623 errichtet wurde, ist anzunehmen, dass die Platzwahl nicht nur durch die Nähe des Weißwassers, des wasserreichsten Quellstroms der Elbe, und die Weiße Wiese im Sturmschatten des Brunnbergs und Hinterwiesenbergs bestimmt war, sondern die unmittelbare Nähe der Ländergrenze spricht dafür, dass der Wiesenbauer Flüchtigen von beiden Seiten, aus ,dem Lager der Liga und der Union, Schutz und Unterkunft bieten wollte.

Die Schneekoppe, die durch ihre Höhe und ihre Fernsicht gewiss schon jahrhundertelang die zwischen Hirschberg und Hohenelbe Reisenden gelockt hat, wird auch bereits sehr früh eine Baude, wenigstens als Schutzhaus, besessen haben, nicht nur die Laurentiuskapelle aus dem Jahre 1681. Die Angabe im "Storm-Reiseführer", Gastwirt Sommer aus Warmbrunn habe 1850 das "erste Koppenhaus" erbaut, wird widerlegt durch den mindestens anderthalb Jahrhunderte alten Rubinpokal in meinem Wangener Archiv, der in böhmischer, vermutlich Harrachsdorfer Ätzung außer der Kapelle deutlich eine einstöckige Baude zeigt. Eine Baude vor 1850 wird von dem schon erwähnten K. J. Weber bestätigt durch die Worte "zumal seit 1825 hier Wirtschaft ist". Die "Preußische Baude" auf der Koppe stammt aus dem Jahre 1862, die "Böhmische" von 1868, nachdem die Sommersche 1867 abbrannte. Wie viele frühere Bauden können droben auch einem Brande zum Opfer gefallen sein.

Fast sagenhaft ist das Alter der romantischen "Schnurrbartbaude" neben der hochmodernen "Teichmannbaude" in 843 Meter Höhe über Krummhübel. Vielleicht mussten sich früher die "Zünftigen" durch einen möglichst stattlichen Schnurbart (SO schrieb man einst) ausweisen? Mir ist so, als habe mir einer meiner ältesten Gebirgsfreunde einmal erzählt, hier seien vor allem die bärtigen Fuhrleute eingekehrt, die die "Hempelsbaude" (alte Schreibart) mit Materialien zu versorgen hatten. Tatsächlich war die "Hampelbaude" schon zu Goethes Zeiten "nächst der Wiesenbaude die besuchteste". Mein "Brockhaus" von 1822 lobt, dass "von den Gebrüdern Hampel die steile Seifenlehne seit einigen Jahren durch angelegte Treppen und Sitze sehr bequem zum Besteigen gemacht worden ist". Der vornehmste Sportverein im Riesengebirge war nach dem ersten Weltkriege die "Hampelbaudenskizunft", der auch der Reichssportwart Diem und Prinz Hubertus von Preußen angehörten. Die ursprüngliche "Neue Schlesische Baude" wurde schon 1787 erbaut, nachdem die erste "Alte Schlesische" abgebrannt gewesen sein soll.

Der moderne Fremdenverkehr machte das Riesengebirge, während die meisten deutschen Gebirge mehr geruhsamer Erholung dienten, zu einem ausgesprochenen Wandergebirge. Diese Eigenart erklärt das nun folgende Aufblühen vieler stattlicher Bauden, teilweise wiederum aus kleinen gebirgsbäuerlichen Anfängen.

Für die Kennzeichnung der Wanderwege hatte die heimische Holzschnitzkunst, insbesondere die Warmbrunner Schule des Meisters dell´Antonio Kunstwerke geschaffen, die später auch in Deutschlands übrigen Wandergebieten Nachahmung fanden. Für die höheren Lagen des Riesengebirges bürgerte sich ,jedoch eine Ausführung von Wegweisern nach den Bauden ein, die vor allem im Winter jeder Vereisung trotzten: die Blechsymbole. Dies waren bestimmte, in Blech geschnittene und an Stangen befestigte Zeichen, von denen jede Baude ihr besonderes besaß.

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