Aus: Riesengebirgsheimat – Heimatblatt für die ehemaligen Kreise Trautenau und Hohenelbe – 17. Jahrgang (LB H)

Die Schölzerei in Unter-Wernersdorf 1588 - 1945

von Walter Kammel

In der Beilage "Für Reise und Wanderung" der "Reichenberger Zeitung", vom 01. Juni 1913 wird in einem Aufsatz, betitelt "Durch Deutsch-Böhmen", unter "7. Trautenau-Parschnitz-Wekelsdorf" im Verlaufe der Eisenbahnfahrt folgende Schilderung abgedruckt: ".. Nach kurzer Fahrt tritt der Hochwald immer mehr zurück. Tief unten im Erlitz-Tale liegt romantisch eingebettet Ober- und Unter-Wernersdorf. Vor Jahrzehnten blühte hier die Färberei- und Bleichindustrie, alte Schutthalden deuten auf Bergbau hin. Auch die ehemalige Schölzerei ist verschwunden, in der zur Zeit der schlesischen Kriege der wilde Panduren-Obrist Baron von der Trenk manch Spiel- und Zechgelage hielt..."

Verschollen im Dunkel der Vergangenheit ist der Name des Wanderers, der jene Zeilen niederschrieb. Unauffindbar ist das Geburtsdatum des Gerichtskretschams, in dem der Pandurenoberist als Haudegen nächtigte, geblieben sind uns – herübergerettet aus der Vertreibung von der väterlichen Scholle – nur die Namen der Schulzen des Geschlechtes Spitzer, die das Erbrichteramt über 210 Jahre, vom Vater auf den Sohn fortlaufend vererbend, inne hatten. Am Anfang und am Ende dessen, was wir über Bauernhof und Schänke wissen, steht eine Beziehung zum Dorfe Jibka, das nach Wernersdorf eingepfarrt war, zu lesen. Auch dies ist ein seltsamer Zufall. Der erste aus dem Schulzengeschlechte, der uns aus dem Dunkel der Jahrhunderte in den Matriken entgegentritt, ist MATHEUS SPITZER, um 1588 geboren, als "Scholtze von Gibka" am 11. März 1668 gestorben.

Sein Sohn MARTIN, um 1621 geboren, stirbt am 28. September 1693 ebenfalls als "Richter in Gibka". Als dessen Sohn MARKUS am 28. Mai 1685 Maria Friede heiratet – Bräutigam und Braut sind 25 Jahre alt – wird er schon als "Scholze in Unter-Wernersdorf" eingetragen. Wahrscheinlich hat der Vater dem Sohne die Schölzerei gekauft, denn eingeheiratet kann dieser nicht haben, da Georg Friede, der Schwiegervater, weder bei der Eheschließung, noch beim Ableben ausdrücklich als "Scholtze" bezeichnet wird, was bei einer solch geachteten Persönlichkeit, wie der Dorfrichter sie damals darstellte, stets gebührend hervorgehoben wurde. Mit diesem Markus fangen die 6 Generationen Spitzer-Schultheißen an, die der Wernersdorfer Schölzerei und auch dem Dorfe zu Ansehen verhelfen sollten. Vom Vater auf den Sohn folgen nun:

WENZEL SPITZER (1690 – 1758) war es, der dem rauhen Panduren-Obrist von der Trenk den Weinbecher vorsetzte und ihn zu ermahnen sich vermaß, wenn die Soldaten ihr Spiel zu toll getrieben. 21jährig übernahm nun URBAN (1737 – 1815) nach dem Tode seines Vaters den Erbhof. Um 1790 mag er ihn seinem Sohne ANTON PETER SPITZER – "Scholze und Leinwandnegotiant" - Negotiant ist ein alter Ausdruck für Handelsmann - übergeben haben. Dieser Peter wurde 1761 geboren und erlitt das merkwürdige Schicksal, auf einer Handelsfahrt mit Leinewand und Flachs, die ihn nach Galizien führte, zwischen 1806 und 1809 samt seinen Pferden von einem Rudel Wölfe aufgefressen zu werden.

FRANZ ANTON SPITZER (1802 – 1840) ist der nächste "Gerichtsscholtze von Wernersdorf". Er weiß die Wohlhabenheit seines Vaters durch die Heirat mit Barbara Margaretha, der schwerreichen Tochter des "Leinwandnegotianten" Josef Kaulich aus Unter-Wernersdorf noch zu vermehren und der Erbschöltzerei, von der wir hier erzählen, wohl den größten äußeren Glanz ihres Bestehens zu geben. 1834 ließ sich der Erbrichter im Kreise seiner Familie von den zu ihrer Zeit sehr angesehenen Maler-Brüdern Peter und Ignaz Rhus aus Trautenau in Öl porträtieren. Würde der Stellung und Wohlhabenheit des Hauses werden der Nachwelt in schönem Silbergeschirr, seltenen Früchten und gediegener Kleidung der dargestellten Personen überliefert. Viel zu früh ereilt den 38jährigen, dessen Element Jagd, Gerichtstag und frohe Fahrt über Land mit geschwinden Pferden waren und der 13 Kinder sein eigen nannte, ein "Gehirnschlagfluss".

Eine tüchtige Frau war die Witwe, die Hof und Wirtschaft weiterführte, ehe sie das Anwesen ihrem Sohne JOHANN SPITZER (1826 – 1900) übergab. Er war "der letzte Schultze von Unter-Wernersdorf", wie er sich selbst zu bezeichnen pflegte.

Doch ehe das zähe Bauerngeschlecht sich verströmte, brachte es in den drei Brüdern JOHANN, WENZEL und JOSEF noch einmal Vitalität, Schaffensfreude, Unternehmungsgeist, Kunstsinn und Humor zum Blühen. Josef, der älteste der drei Brüder, hatte Theologie studiert, wurde 1865 Pfarrer von Unter-Wernersdorf und ging als Dechant durch seinen urwüchsigen Mutterwitz in das schmunzelnde Gedenken des Volkes über. Er baute das große steinerne Pfarreigebäude, legte den neuen Friedhof hinter der Kirche an und verschönte das Gotteshaus innen und außen. Wie seine Brüder, war auch er ein ausgezeichneter Musiker.

Um 1855 begannen die Brüder Johann und Wenzel eine "Leinen-, Garn- und Stückbleiche" zu bauen, der sie später eine Färberei angliederten. Johann war als Färbermeister, Wenzel als Bleichmeister ausgebildet worden. In Jibka betrieben sie außerdem eine Kupfergrube. Auch diese beiden Brüder waren wie ihr Vater Franz Anton begeisterte Jäger, gehörten zu den ersten Turnern, spielten einige Instrumente, erteilten Musikunterricht und gaben zusammen mit ihrem Bruder Josef und dem Vetter König Kammerkonzerte in Merkelsdorf, Liebenau und Starkstadt.

Dr. WENZEL SPITZER (1863 – 1941), der Sohn Wenzels d. Ä. konnte aus eigenem Erleben noch eine gute Schilderung jener Zeit geben:

"Die Schöltzerei bestand aus einem großen Wohngebäude mit 6 – 8 Fenstern in der Front. Um den Hof befanden sich mächtige Scheunen, die schon über 100 Jahre stehen mochten. Mit dem Bauernhof war auch das Schankrecht des Dorfschultzen verbunden. In der geräumigen Wirtsstube gab es ein erhöhtes Podium, auf dem die Musikanten zu sitzen pflegten. Hier wurden im Winter auch die Dorfbälle abgehalten. Hier war es auch, wo der Haudegen Baron von der Trenk seine berüchtigten Trink- und Zechgelage aufführte in den schlesischen Kriegen. Neben der großen Wirtsstube selbst und auch über das Vorhaus hinüber befanden sich je 2 Zimmer. In der Bauernwirtschaft, die ein schöner Erbhof war, standen über 30 Stück Rindvieh, 2 – 3 Paar Pferde, wurden etliche Kälber, viele Schweine und ein Haufen Federvieh gehalten.

Zur Brauerei gehörten 60 Joch Feld, gegen Schwadowitz zu auch einige Hektar Wald. Die Sonnenseite am Zahorsche-Bergrücken war ebenfalls noch Wald gewesen, den erst Onkel Johann gerodet hat. Während anfangs mehr Viehwirtschaft betrieben worden war, baute Johann sie mehr und mehr zur Ackerwirtschaft aus. Beim Roden der eben erwähnten Sonnenseite gewann Johann einen schönen roten Sandstein, den er zu Bauzwecken verkaufte. Die neu gewarteten Ackerfelder ergaben ein fruchtbares Land. In der Braunauer Landschaft wurde seit Anfang des 19. Jahrhunderts viel Flachs angepflanzt. Auch Johann pflegte diesen Zweig des Ackerbaues, ohne sich jedoch selbst mit der Flachsaufbereitung abzugeben. Gegen Jibka zu dehnten sich die Felder bis zu den "Glashütten", die ebenfalls zur Schöltzerei gehörten, aus. Auf diesen Gründen waren auch Bleiche, Färberei und die Hänge errichtet worden. Rechts neben der Straße nach Jibka befand sich ein ausgedehnter Wiesenplan mit eingerammten Pfählen, auf dem die Rasenbleiche bewerkstelligt wurde. Linker Hand erhob sich der dreistöckige Bau des "Gehänges". Ich sehe noch das hohe Gebäude vor mir: oben hatte der Vater ein Stübchen, unten waren zwei Zimmer und Küche. Aus der letzteren führten drei kleine Stufen in einen hohen Raum, über dessen Fußboden sich dampfbeheizte Rohrschlangen hinzogen. Sie trockneten die vielen meterlangen Leinwandstücke, die aus dem 3. Stockwerk herabhingen. Ich sehe auch noch die Dampfmaschine mit dem mächtigen Schwungrad, die vielen Seilantriebe, Übersetzungen und Gewerke vor mir. Auch das unterschlächtige Wasserrad, das bei gutem Wasserstand als Antrieb diente, zu welchem Zwecke vom Erlitzbache abzweigend ein Mühlgraben gelegt worden war.

Das Ausgedingehaus war ein hölzernes Wohnhaus mit Scheuer. Es trug die Hausnummer 13..."
Soweit der Bericht meines Onkels, des Arztes Dr. Wenzel Spitzer.

1868 starb plötzlich dessen Vater, Wenzel d. Ä., erst 33jährig an den Folgen eines Unfalles. Mit ihm starben auch die hohen Pläne, die sich die beiden Brüder Johann und Wenzel Spitzer geschmiedet hatten. Vielleicht hatten sich die "Scholtzensöhne" auch finanziell verausgabt... Einige schlechte Ernten taten das ihrige dazu. 1891 zog der Bauer Johann Spitzer 65jährig in das Ausgedingehaus und sein reicher Verwandter RZEHAK aus JIBKA zahlte ihm 14 000 österreichische Gulden für Erbhof und Kretscham. Keiner der Söhne des letzten Scholzen von Wernersdorf hatte Bauer werden wollen: Wenzel, der Ziehsohn und Neffe wurde Arzt, Josef aus 1. Ehe Konditor und Handelsmann, die beiden Söhne aus 2. Ehe Friedrich und Alois wurden Versicherungsinspektor und Textilzeichner. Von dem Geschlecht, das wir durch Jahrhunderte verfolgten, ist nur noch ein einziger männlicher Namensträger vorhanden.

1891 war die Schankwirtschaft der Schölzerei erloschen und nur noch der Bauernhof weiter betrieben worden. Noch vor dem 1. Weltkriege kaufte ihn ANTON POHL aus Mata-Mohren. Er ließ das ehrwürdige Schölzereigebäude abtragen und an dessen Stelle ein großes steinernes Wohnhaus mit einer Springbrunnenanlage davor, ausführen.

Ob Anton Pohl noch Besitzer war, als im unheilvollen Jahre 1945 Hass und Raubgier die deutschen Menschen von ihrer Scholle verjagten, die sie einst gerodet und in langen Generationen bebaut und fruchtbar gemacht hatten, konnte ich nicht ermitteln.

"Die ehemalige Schölzerei ist verschwunden..." schrieb 1913 der unbekannte Wandersmann und es hatte mich gereizt, als ich diesen alten Zeitungsausschnitt in unseren Familienpapieren fand, die Geschichte dieser Schölzerei zu erforschen. Wir wollten ihr diese vorstehenden Zeilen widmen, damit sie nicht nur aus unserem, sondern auch aus dem Gedächtnis späterer Geschlechter nicht völlig verschwinden möge...

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