Aus: Riesengebirgsheimat Heimatblatt für die ehemaligen Kreise Trautenau und Hohenelbe 17. Jahrgang (LB H)
von Walter Kammel
In der Beilage "Für Reise
und Wanderung" der "Reichenberger Zeitung", vom 01. Juni 1913
wird in einem Aufsatz, betitelt "Durch Deutsch-Böhmen", unter
"7. Trautenau-Parschnitz-Wekelsdorf" im Verlaufe der Eisenbahnfahrt
folgende Schilderung abgedruckt: ".. Nach kurzer Fahrt tritt der Hochwald
immer mehr zurück. Tief unten im Erlitz-Tale liegt romantisch eingebettet
Ober- und Unter-Wernersdorf. Vor Jahrzehnten blühte hier die Färberei-
und Bleichindustrie, alte Schutthalden deuten auf Bergbau hin. Auch die ehemalige
Schölzerei ist verschwunden, in der zur Zeit der schlesischen Kriege der
wilde Panduren-Obrist Baron von der Trenk manch Spiel- und Zechgelage hielt..."
Verschollen im Dunkel der Vergangenheit ist der Name des Wanderers, der jene
Zeilen niederschrieb. Unauffindbar ist das Geburtsdatum des Gerichtskretschams,
in dem der Pandurenoberist als Haudegen nächtigte, geblieben sind uns
herübergerettet aus der Vertreibung von der väterlichen Scholle
nur die Namen der Schulzen des Geschlechtes Spitzer, die das Erbrichteramt über
210 Jahre, vom Vater auf den Sohn fortlaufend vererbend, inne hatten. Am Anfang
und am Ende dessen, was wir über Bauernhof und Schänke wissen, steht
eine Beziehung zum Dorfe Jibka, das nach Wernersdorf eingepfarrt war, zu lesen.
Auch dies ist ein seltsamer Zufall. Der erste aus dem Schulzengeschlechte, der
uns aus dem Dunkel der Jahrhunderte in den Matriken entgegentritt, ist MATHEUS
SPITZER, um 1588 geboren, als "Scholtze von Gibka" am 11. März
1668 gestorben.
Sein Sohn MARTIN, um 1621 geboren, stirbt am 28. September 1693 ebenfalls als
"Richter in Gibka". Als dessen Sohn MARKUS am 28. Mai 1685 Maria Friede
heiratet Bräutigam und Braut sind 25 Jahre alt wird er schon
als "Scholze in Unter-Wernersdorf" eingetragen. Wahrscheinlich hat
der Vater dem Sohne die Schölzerei gekauft, denn eingeheiratet kann dieser
nicht haben, da Georg Friede, der Schwiegervater, weder bei der Eheschließung,
noch beim Ableben ausdrücklich als "Scholtze" bezeichnet wird,
was bei einer solch geachteten Persönlichkeit, wie der Dorfrichter sie
damals darstellte, stets gebührend hervorgehoben wurde. Mit diesem Markus
fangen die 6 Generationen Spitzer-Schultheißen an, die der Wernersdorfer
Schölzerei und auch dem Dorfe zu Ansehen verhelfen sollten. Vom Vater auf
den Sohn folgen nun:
WENZEL SPITZER (1690 1758) war es, der dem rauhen Panduren-Obrist von
der Trenk den Weinbecher vorsetzte und ihn zu ermahnen sich vermaß, wenn
die Soldaten ihr Spiel zu toll getrieben. 21jährig übernahm nun URBAN
(1737 1815) nach dem Tode seines Vaters den Erbhof. Um 1790 mag er ihn
seinem Sohne ANTON PETER SPITZER "Scholze und Leinwandnegotiant"
- Negotiant ist ein alter Ausdruck für Handelsmann - übergeben haben.
Dieser Peter wurde 1761 geboren und erlitt das merkwürdige Schicksal, auf
einer Handelsfahrt mit Leinewand und Flachs, die ihn nach Galizien führte,
zwischen 1806 und 1809 samt seinen Pferden von einem Rudel Wölfe aufgefressen
zu werden.
FRANZ ANTON SPITZER (1802 1840) ist der nächste "Gerichtsscholtze
von Wernersdorf". Er weiß die Wohlhabenheit seines Vaters durch die
Heirat mit Barbara Margaretha, der schwerreichen Tochter des "Leinwandnegotianten"
Josef Kaulich aus Unter-Wernersdorf noch zu vermehren und der Erbschöltzerei,
von der wir hier erzählen, wohl den größten äußeren
Glanz ihres Bestehens zu geben. 1834 ließ sich der Erbrichter im Kreise
seiner Familie von den zu ihrer Zeit sehr angesehenen Maler-Brüdern Peter
und Ignaz Rhus aus Trautenau in Öl porträtieren. Würde der Stellung
und Wohlhabenheit des Hauses werden der Nachwelt in schönem Silbergeschirr,
seltenen Früchten und gediegener Kleidung der dargestellten Personen überliefert.
Viel zu früh ereilt den 38jährigen, dessen Element Jagd, Gerichtstag
und frohe Fahrt über Land mit geschwinden Pferden waren und der 13 Kinder
sein eigen nannte, ein "Gehirnschlagfluss".
Eine tüchtige Frau war die Witwe, die Hof und Wirtschaft weiterführte,
ehe sie das Anwesen ihrem Sohne JOHANN SPITZER (1826 1900) übergab.
Er war "der letzte Schultze von Unter-Wernersdorf", wie er sich selbst
zu bezeichnen pflegte.
Doch ehe das zähe Bauerngeschlecht sich verströmte, brachte es in
den drei Brüdern JOHANN, WENZEL und JOSEF noch einmal Vitalität, Schaffensfreude,
Unternehmungsgeist, Kunstsinn und Humor zum Blühen. Josef, der älteste
der drei Brüder, hatte Theologie studiert, wurde 1865 Pfarrer von Unter-Wernersdorf
und ging als Dechant durch seinen urwüchsigen Mutterwitz in das schmunzelnde
Gedenken des Volkes über. Er baute das große steinerne Pfarreigebäude,
legte den neuen Friedhof hinter der Kirche an und verschönte das Gotteshaus
innen und außen. Wie seine Brüder, war auch er ein ausgezeichneter
Musiker.
Um 1855 begannen die Brüder Johann und Wenzel eine "Leinen-, Garn-
und Stückbleiche" zu bauen, der sie später eine Färberei
angliederten. Johann war als Färbermeister, Wenzel als Bleichmeister ausgebildet
worden. In Jibka betrieben sie außerdem eine Kupfergrube. Auch diese beiden
Brüder waren wie ihr Vater Franz Anton begeisterte Jäger, gehörten
zu den ersten Turnern, spielten einige Instrumente, erteilten Musikunterricht
und gaben zusammen mit ihrem Bruder Josef und dem Vetter König Kammerkonzerte
in Merkelsdorf, Liebenau und Starkstadt.
Dr. WENZEL SPITZER (1863 1941), der Sohn Wenzels d. Ä. konnte aus
eigenem Erleben noch eine gute Schilderung jener Zeit geben:
"Die Schöltzerei bestand aus einem großen Wohngebäude mit 6 8 Fenstern in der Front. Um den Hof befanden sich mächtige Scheunen, die schon über 100 Jahre stehen mochten. Mit dem Bauernhof war auch das Schankrecht des Dorfschultzen verbunden. In der geräumigen Wirtsstube gab es ein erhöhtes Podium, auf dem die Musikanten zu sitzen pflegten. Hier wurden im Winter auch die Dorfbälle abgehalten. Hier war es auch, wo der Haudegen Baron von der Trenk seine berüchtigten Trink- und Zechgelage aufführte in den schlesischen Kriegen. Neben der großen Wirtsstube selbst und auch über das Vorhaus hinüber befanden sich je 2 Zimmer. In der Bauernwirtschaft, die ein schöner Erbhof war, standen über 30 Stück Rindvieh, 2 3 Paar Pferde, wurden etliche Kälber, viele Schweine und ein Haufen Federvieh gehalten.
Zur Brauerei gehörten 60 Joch Feld, gegen Schwadowitz zu auch einige
Hektar Wald. Die Sonnenseite am Zahorsche-Bergrücken war ebenfalls
noch Wald gewesen, den erst Onkel Johann gerodet hat. Während anfangs
mehr Viehwirtschaft betrieben worden war, baute Johann sie mehr und mehr
zur Ackerwirtschaft aus. Beim Roden der eben erwähnten Sonnenseite
gewann Johann einen schönen roten Sandstein, den er zu Bauzwecken
verkaufte. Die neu gewarteten Ackerfelder ergaben ein fruchtbares Land.
In der Braunauer Landschaft wurde seit Anfang des 19. Jahrhunderts viel
Flachs angepflanzt. Auch Johann pflegte diesen Zweig des Ackerbaues, ohne
sich jedoch selbst mit der Flachsaufbereitung abzugeben. Gegen Jibka zu
dehnten sich die Felder bis zu den "Glashütten", die ebenfalls
zur Schöltzerei gehörten, aus. Auf diesen Gründen waren
auch Bleiche, Färberei und die Hänge errichtet worden. Rechts
neben der Straße nach Jibka befand sich ein ausgedehnter Wiesenplan
mit eingerammten Pfählen, auf dem die Rasenbleiche bewerkstelligt
wurde. Linker Hand erhob sich der dreistöckige Bau des "Gehänges".
Ich sehe noch das hohe Gebäude vor mir: oben hatte der Vater ein
Stübchen, unten waren zwei Zimmer und Küche. Aus der letzteren
führten drei kleine Stufen in einen hohen Raum, über dessen
Fußboden sich dampfbeheizte Rohrschlangen hinzogen. Sie trockneten
die vielen meterlangen Leinwandstücke, die aus dem 3. Stockwerk herabhingen.
Ich sehe auch noch die Dampfmaschine mit dem mächtigen Schwungrad,
die vielen Seilantriebe, Übersetzungen und Gewerke vor mir. Auch
das unterschlächtige Wasserrad, das bei gutem Wasserstand als Antrieb
diente, zu welchem Zwecke vom Erlitzbache abzweigend ein Mühlgraben
gelegt worden war.
Das Ausgedingehaus war ein hölzernes Wohnhaus mit Scheuer. Es trug
die Hausnummer 13..."
Soweit der Bericht meines Onkels, des Arztes Dr. Wenzel Spitzer.
1868 starb plötzlich dessen Vater, Wenzel d. Ä., erst 33jährig
an den Folgen eines Unfalles. Mit ihm starben auch die hohen Pläne,
die sich die beiden Brüder Johann und Wenzel Spitzer geschmiedet
hatten. Vielleicht hatten sich die "Scholtzensöhne" auch
finanziell verausgabt... Einige schlechte Ernten taten das ihrige dazu.
1891 zog der Bauer Johann Spitzer 65jährig in das Ausgedingehaus
und sein reicher Verwandter RZEHAK aus JIBKA zahlte ihm 14 000 österreichische
Gulden für Erbhof und Kretscham. Keiner der Söhne des letzten
Scholzen von Wernersdorf hatte Bauer werden wollen: Wenzel, der Ziehsohn
und Neffe wurde Arzt, Josef aus 1. Ehe Konditor und Handelsmann, die beiden
Söhne aus 2. Ehe Friedrich und Alois wurden Versicherungsinspektor
und Textilzeichner. Von dem Geschlecht, das wir durch Jahrhunderte verfolgten,
ist nur noch ein einziger männlicher Namensträger vorhanden.
1891 war die Schankwirtschaft der Schölzerei erloschen und nur noch
der Bauernhof weiter betrieben worden. Noch vor dem 1. Weltkriege kaufte
ihn ANTON POHL aus Mata-Mohren. Er ließ das ehrwürdige Schölzereigebäude
abtragen und an dessen Stelle ein großes steinernes Wohnhaus mit
einer Springbrunnenanlage davor, ausführen.
Ob Anton Pohl noch Besitzer war, als im unheilvollen Jahre 1945 Hass
und Raubgier die deutschen Menschen von ihrer Scholle verjagten, die sie
einst gerodet und in langen Generationen bebaut und fruchtbar gemacht
hatten, konnte ich nicht ermitteln.
"Die ehemalige Schölzerei ist verschwunden..." schrieb
1913 der unbekannte Wandersmann und es hatte mich gereizt, als ich diesen
alten Zeitungsausschnitt in unseren Familienpapieren fand, die Geschichte
dieser Schölzerei zu erforschen. Wir wollten ihr diese vorstehenden
Zeilen widmen, damit sie nicht nur aus unserem, sondern auch aus dem Gedächtnis
späterer Geschlechter nicht völlig verschwinden möge...