Im Memorabilienbuch der Pfarre Marschendorf aus dem Jahre 1828 fand ich den nachstehenden Erlass zur Führung der alten "Bücher".
Memorabilien-, Zeit- oder Gedenkbücher, auch Chroniken, sind nicht nur in geschichtlicher,
sondern auch in vielfacher andere Beziehung von dem unverkennbarsten Vortheile,
und sämmtliche hierüber vernommenen k. Kreisämter und Konsistorien haben aufs
bestimmteste erklärt, daß deren sorgfältige Führung bei allen geistlichen und
weltlichen Komunen nur gewünscht werden könne.
Um diesem löblichen Eifer, dem erfreulichen Zeichen ächter patriotischer Gesinnung
und eines achtbaren Selbstgefühls, welches in Denkmalen der Vorzeit den Aufruf
zur eigenen nützlichen Thätigkeit finden, durch den Vorsatz der Aufzeichnung
löblicher Leistungen sich selbst strenger überwachen, und dadurch segenreichen
Saamen für die Nachkommen ausstreuen kann, gedeihliche Früchte zu sichern, findet
man für zweckdienlich, folgende nähere Anweisung zur Führung der Memorabilien-,
Zeit-, oder Gedenkbücher, auch Chroniken zugeben.
1tends. Vom 1. Jänner 1836 anzufangen,
wird in jeder Stadt-Marktgemeinde, und jedem bedeutenderen Orte, Pfarr- und
den übrigen geistlichen oder weltlichen Komunen, ein Memorabilien-, Zeit-
oder Gedenkbuch, auch Chronik angelegt, und unter Aufsicht der vorgesetzten
berufenen Behörde in deutscher Sprache fortgeführt. Uibrigens bleibt
es unbenommen, diese Zeitbücher auch in lateinischer Sprache zu führen.
2tends. Für dieses Geschäft ist nach der Wahl der berufenen Behörde, des
Vikariates, des Magistrates, Stadtrichteramtes, Wirthschaftsamtes und dergleichen
ein fähiger, und für das allgemeine Beste empfänglicher Mann zu bestimmen.
3tends. Die Chronik ist ein Eigenthum der geistlichen oder weltlichen Korporation
oder Gemeinde. Sie muß daher in der Regel in dem betreffenden Gemeindehause
aufbewahrt, und im Falle der Chronikschreiber aus der Gemeinde oder von der
ihm übertragenden Arbeit abtritt, von demselben der berufenen vorgesetzten
Behörde unverletzt übergeben werden.
4tends. Es ist zu wünschen, dass die Chronik im gewöhnlichen Folioformat,
auf gutem Papiere, und mit guter schwarzer Tinte, halbbrüchig geschrieben
werde, und am Eingange die Bemerkung der Jahreszahl, wann sie begonnen worden,
des Namens und des Amtes des Chronisten enthalte.
Eben so muß, wenn ein anderer Chronist an dessen Stelle tritt, dessen Name
und Amt am Anfange seiner Aufzeichnungen und die Zeit dieses Anfangs bemerkt
seyn.
Die Chronik muß mit einem Einbande von steifen Dekeln, ledernen Rücken und
Spitzen versehen seyn.
5tends. Die Chronik soll das Gedenkbuch für die Gemeinde, also das Buch seyn,
in welches alle Denkwürdigkeiten, welche sich in Beziehung auf die Gemeinde
ergeben, einzutragen sind.
6tends. Es wird zweckmäßig seyn, am Eingange der Chronik auf die allenfalls
vorhandenen ältern geschriebenen Chroniken, Urkunden, Privilegien, Akten und
dergleichen, welche in dem Gemeindearchive aufbewahrt sind, oder auf die im
Druck erschienen Geschichten der Gemeinden hinzuweisen. Man wird es gern sehen,
wenn von Zeit zu Zeit Ansichten der Orte, merkwürdiger Gebäude und dergleichen
und Situazionspläne beigelegt werden.
Löblich ist es besonders, der Chronik selbst einen kurzen Abriß der Stadt-,
Markt-, Pfarr- oder Komunengeschichte, unter Angabe der Quellen, vorauszuschicken.
Derlei verdienstliche Arbeiten werden mit besonderem Wohlgefallen beachtet
und gewürdiget werden.
7tends. In Ansehung der Wahl der Gegenstände, welche in die Chronik aufzunehmen
sind, ist eine in das Einzelne gehende Vorschrift nicht wohl möglich. Man
muß in dieser Beziehung der Verständigkeit des Chronisten vertrauen.
Im Allgemeinen eignen sich alle Vorfälle und Handlungen, welche den Bestand
und die Eigenthümlichkeit der Gemeinde zeigen, oder verändern, ein Bild der
Sitten, Gebräuche und der Zeitverhältnisse überhaupt darstellen, zur Aufnahme
in das Gedenkbuch, daher: Ereignisse, welche die Gemeindeverwaltung betreffen,
die Bekleidung der der Komune vorstehenden Aemter und Würden, wichtige Administrativmaßregeln,
Anordnungen, das Schul-, Armenwesen und dergleichen betreffend, Ausführung
von Bauten, Stiftungen, wohlthätige Anstalten, zeitweise Nachrichten über
den Zustand des geistlichen oder weltlichen Gemeindevermögens, bedeutende
Verbesserungen oder Verschlimmerungen, Veränderungen an den Gemeindegränzen,
und in der Markung oder an den Gemeindrechten, bedeutende Culturen, Todesfälle
ausgezeichneter Männer, Aufenthalt hoher Personen, die Beschreibung von Festlichkeiten,
auffallende Naturereignisse, Beispiele großer Theuerung oder Wohlfeilheit,
Anzahl der im Verlaufe eines Jahres Getauften, Getrauten, Gestorbenen, der
gesammten Volksanzahl u.s.w.
8tends. Die Vorfälle, welche in die Chronik aufzunehmen sind, sollen sich
zunächst auf die geistliche der weltliche Gemeinde beziehen; so wie aber
jede einzelne Gemeinde mit den ihr benachbarten Gemeinden und mit allen übrigen
des Kreises und des ganzen Königreiches durch ein gemeinsames Band vereinigt
ist, so sind die Ereignisse, welche sich zwar zunächst auf benachbarte
geistliche oder weltliche Gemeinden oder auf das ganze Vaterland beziehen, und
die Gemeinde mit betreffen, von der Chronik nicht ausgeschlossen.
9tends. Ein vorzüglicher Werth der Chronik besteht in der treuen Angabe
aller einzelnen Umstände, - oft scheinbarer Kleinigkeiten, - und in der
Sicherheit, mit welcher aus den vorerwähnten, ins Einzelne gehenden Thatsachen,
ein wahres Bild der verschiedenen Zeiten und ihrer örtlichen Umstände
und Verhältnisse, fern von aller eingebildeten, historisch philosophischen
Sistematisirung gewonnen wird. Die Chronisten haben sich daher zu bestreben,
die Einzelheiten der Vorfälle, der Festlichkeiten u. s. w., woraus die
Sitten und Begegnisse der Zeit erhellen, recht genau aufzuzeichnen. Weitschweifigkeit
ist hievon verschieden; dennoch ist sie besser, als leere Allgemeinheit.
10tends. Nicht eine pragmatische Geschichte, nicht das Urtheil des Chronisten
über die Zweckmäßigkeit einer Einrichtung oder über eine
Handlung, noch auch eine zierliche, gesuchte oder gar schwülstige Schreibart
wird gefordert. Diese soll vielmehr vermieden werden, und die einfache, ungezwungene
Schreibart der bessern Chronisten des Mittelalters zum Muster dienen. Die einfachste
Erzählung der Thatsachen ist die beste und alles, was gewünscht wird.
Sie sind aufzuzeichnen nach der Zeitfolge.
Jede einzelne Angabe ist am Rande der Chronik mit der Jahreszahl, wenn nicht
dieselbe Jahreszahl bei den vorhergehenden bemerkt ist, und im Laufe der Erzählung
Monat und Tag deutlich zu bezeichnen.
11tends. Der Chronist wird wohl thun, die Aufzeichnung unmittelbar nach dem
Vorfalle vorzunehmen. Diese Pünktlichkeit in der Geschäftsführung
ist eine Bürgschaft für die Treue der Chronik.
12tends. Wo die Führung der Chronik recht sorgfältig bewirkt werden
will, ist in einem abgesonderten Bande ein Materialindex zu entwerfen.
13tens. Jeder geistlichen oder weltlichen Gemeinde wird ein Exemplar dieser
Weisung mit dem Auftrage mitgetheilt, dasselbe der Chronik selbst beizufügen.
14tends. Zu diesem Behufe sind auf Kosten der betreffenden geistlichen oder
weltlichen Gemeinde, die nach der hier gegebenen Andeutung verfertigten Bände,
aus 300 oder 350 Bogen bestehend, beizuschaffen; mit Seitenzahlen zu versehen,
mit einem Faden zu durchziehen, und am Schluße von der berufenen vorgesetzten
Behörde zu siegeln.
Prag am 31. August 1835.
vom kais. Königl. böhmischen Landespräsidium.
Karl Graf Chotek
Oberstburggraf und k. k. Gubernialpräsident.