Tagebuch von Dr. Hugo Seydel

Text und Foto: Ullrich Junker, Mörikestr. 16, D-88 285 Bodnegg

Bei meinen Recherchen im Mai 2005 fand ich im Staatsarchiv in Hirschberg / Riesengebirge (Archiwum Państwowe we Wroclawiu Oddzial Jeleniej Górze) unter alten Akten des früheren Riesengebirgsvereins (RGV) ein Buch mit dem Titel:

Lebenserinnerungen des Geheimen Justizrat Dr. h. c. Seydel in Hirschberg aus seiner Tätigkeit im Riesengebirgsverein

Das Buch hat die Signatur Nr. 156.

Dr. Seydel hat darin handschriftlich seine Lebenserinnerungen als langjähriger Vorsitzender des Hauptvorstandes des RGV niedergeschrieben.

Anstelle eines Vorwortes verfügte Geheimrat

"Dieses Buch soll nach meinem  Ableben der Museumsbibliothek des Riesengebirgsvereins    übereignet werden.

Hirschberg den 01. Mai 1928"


Mit dieser Verfügung wollte Dr. Seydel sicherlich erreichen, dass der Nachwelt Zeugnisse vom frühen Wirken des RGV erhalten bleiben.

Nach kurzem Studium einiger Seiten seines Memorandums wurde daher der Entschluss gefasst, diese Handschrift als wortgetreue Transkription den alten und neuen Schlesiern und besonders dem Riesengebirgsmuseum, heute Museum Karkonoskie w Jeleniej Gńrze, sowie den Verantwortlichen für den Nationalpark Riesengebirge und des Denkmalsschutzes zukommen zu lassen.

Hugo Seydel wurde am 12. Nov. 1840 in Liegnitz als Sohn eines Postbeamten geboren. Als junger Tertianer der Liegnitzischen Ritterakademie kam er im Juli 1855 erstmals ins Riesengebirge. Unvergeßlich war ihm seine Kammwanderung im Jahre 1858. Zwischen Peterbaude und Spindlerbaude bildeten damals noch in Sprungweite ausgelegte Steine den Weg. Wer diese Steine verfehlte, versank im knietiefen Morast.

Nach dem Jurastudium in Breslau, Gießen und Berlin war Seydel zunächst an den Gerichten in Liegnitz, Breslau, Muskau und Bunzlau tätig.

Dr. Seydel wurde im Frühjahr 1885 an das Landgericht in Hirschberg versetzt und trat sogleich dem RGV bei. Schon 1886 wurde er in dessen Vorstand gewählt. Bereits seit 1895 vertrat er als Landtagsabgeordneter den Kreis Hirschberg-Schönau im Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin.

Nach dem Tode des damaligen Vorsitzenden des RGV, Emil Fiek, wurde er im Jahre 1898 Vorsitzender des Hauptvorstandes des RGV.

Über 30 Jahre war Dr. Seydel für das Wegenetz und für den Wegebau im Riesen- und Isergebirge verantwortlich. Der Wegebau im Riesengebirge wurde nicht vom Staat, sondern vom RGV durchgeführt und damit das Riesengebirge für den Tourismus erschlossen. Auf seine Initiative gab es auch bald eine gute Zusammenarbeit mit dem österreichischen RGV sowie dem deutschen Gebirgsverein für das Jeschken- und Isergebirge.

Die Wege wurden in nachbarschaftlicher Abstimmung so geplant, daß eine gute Anbindung der schlesischen zu den böhmischen Wegen bestand. So wurde für beide Seiten des Gebirges die gleiche Farbkennzeichnung der Wege verwendet.

Auf der internationalen Reiseausstellung in Berlin vom 01. April bis 20. Juli 1911 präsentierte der RGV unter Seydels Leitung das Riesengebirge.

Unter Seydel entstand durch den RGV eine erste Sammlung zur Natur- und Kulturgeschichte der Riesengebirgsregion, die zunächst in verschiedenen angemieteten Räumlichkeiten in Hirschberg ausgestellt wurde.

Seydel´s großes Verdienst ist der Bau des RGV-Museums in Hirschberg. Als Abgeordneter im Preußischen Landtag kannte er die wichtigsten Persönlichkeiten in Berlin und in der Provinzhauptstadt Breslau. Seydel verstand es in jahrelangem unermüdlichem Einsatz, Abgeordnete, Ministerialdirektoren,  den Kultus- und den Finanzminister für die Anliegen und Vorhaben des RGV zu gewinnen und zu überzeugen.

Am 14. April 1914 konnte das RGV-Museum als erstes bedeutendes Heimatmuseum Deutschlands  feierlich eingeweiht werden.

Seydels großes Verdienst um dieses Museum wurde im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten dadurch gewürdigt, daß die Stadt Hirschberg ihm zu Ehren eine Straße in der Nähe des Museums in "Seydel-Straße" (heute ul. Chełmońkiego) umbenannte. Auch der Weg zum Reifträger trug seinen Namen.

Die Errichtung der bekannten Holzschnitzschule in Bad Warmbrunn ist ebenfalls auf sein Engagement zurückzuführen. Auch hier galt es den Kultusminister in Berlin zu überzeugen, Geld zu beschaffen und über viele Jahre hart zu arbeiten, bis auch dieses Projekt realisiert werden konnte.

Dr. Seydel hat immer an seine Ziele geglaubt und keine Mühen und Wege gescheut, diese durchzusetzen. Seine ganze Liebe galt dem Riesengebirge und seinen Menschen.  Im RGV war er sicherlich die hervorragendste Persönlichkeit.

Die von ihm intensiv betriebene Erschließung der Wander- und Schlittenwege war eine wesentliche Grundlage für den Besucheranstieg durch Sommerfrischler und Wintersportler.

Ohne das Engagement Seydel´s hätte das Interesse der Sommer- und Wintergäste an der Riesengebirgsregion vermutlich erst viel später eingesetzt.

Für sein engagiertes Schaffen hat es an Ehrungen nicht gefehlt. Zu erinnern sei an verschiedene Ordensauszeichnungen, an seine Ernennungen zum Geheimen Justizrat und zum Ehrenbürger der Stadt Hirschberg. Die Universität Breslau verlieh ihm den Ehrendoktortitel und sein geliebter RGV ernannte ihn zu seinem Ehrenvorsitzenden.

Im Alter von 92 Jahren ist Dr. Hugo Seydel am 3. Oktober 1932 in Hirschberg verstorben. Ihm gilt unser Dank für die Erhaltung von Kulturgütern und für seine Verdienste um die Erschließung des Gebirges beiderseits der schlesisch-böhmischen Grenze.

Möge Dr. Seydel auch den heutigen "Neu-Schlesiern" ein Vorbild sein, die Natur zu erhalten und die Kulturgüter in objektiver Betrachtungsweise auch für die nächsten Generationen zu bewahren.

Danken möchte ich dem Leiter des Staatsarchivs in Hirschberg, Herrn Jvo Łaborewicz, für seine Unterstützung.

Meinem Forscherfreund Hans Kober, früher Petersdorf / Riesengebirge, danke ich ganz besonders für die Korrekturlesung dieser Transkription.

Diese Bearbeitung liegt nun als Buch vor.

Von der Transkription der Aufzeichnungen Dr. Seydels war die Leitung des heutigen Riesengebirgsmuseums (Muzeum Karkonoskie w Jeleniej Górze Muzeum Karkonoskie w Jeleniej Górze) so begeistert, dass eine Übersetzung in die polnische Sprache beschlossen wurde, damit das Buch auch als zweisprachiges Werk erscheinen kann.

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