Quelle: Schlesische Bergwacht im September 1985

Die Tafelfichten in der alten Reiseliteratur

von Erhard Krause, Berlin

Es ist auffallend, dass der berühmteste Berg des Isergebirges, die Tafelfichte (1122 m), in der alten Reiseliteratur allgemein zum Riesengebirge gerechnet wird, wie überhaupt das Isergebirge bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als westlicher Teil des Rübezahlreiches betrachtet wurde. Der "berühmte Wanderer", Johann Gottfried Seume, nannte die markante Erhebung am Nordwestende des Hohen Iserkammes die "vaterländische Tafelfichte" wohl deshalb, weil bis zum Jahre 1815 auf ihrem Gipfel die Grenzen von drei Ländern (Schlesien, Böhmen und Sachsen) zusammenstießen. Ihren Namen "Tafelfichte" hat die Bergkuppe dadurch erhalten, dass Wallenstein nach einem Grenzstreit mit dem Grafen Schaffgotsch an einer hohen Fichte eine Tafel mit seinem Wappen und der Jahreszahl 1628 anbringen ließ. Vorher hieß diese Grenzfichte "Dreslerfichte".

Nachdem diese "Tafelfichte" vom Sturm geworfen worden war, wurde der "Tafelstein" (Grenzstein Nr. 111) am Nordabhang des Berges die Grenzmarke zwischen Böhmen, Schlesien und der Lausitz. Der bei dem Grenzstein befindliche freie Platz bot, bevor ein Aussichtsgerüst errichtet worden war, die einzige Aussicht von dem Berge. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts standen auf der Tafelfichte, die damals nur mit niedrigem Strauchwerk bewachsen war, zwei hölzerne Schutzhäuschen, die Adolf Traugott von Gersdorf, Schlossherr zu Meffersdorf, als Wetterschutz für die Besteiger des Berges hatte errichten lassen. In diesen Hütten hat wahrscheinlich auch Theodor Körner gerastet, als er am 16. August 1809 von Flinsberg aus die Tafelfichte bestieg. Herr von Gersdorf selbst bestieg 80mal die Tafelfichte und beschrieb auf 900 halben Quartseiten ihre Rundsicht. 1840 waren die beiden Schutzhäuschen bereits verfallen, doch bestand noch ein primitives Aussichtsgerüst in Form einer Steigleiter, das aber auch bald durch Feuer zerstört wurde.

Doch hören wir nun, was die alten Reisehandbücher aus jener Zeit über den berühmten Dreiländer-Grenzberg im Isergebirge zu berichten haben. Zunächst wollen wir dem Berliner Probst Johann Friedrich Zöllner das Wort geben, der 1791 die schlesischen Gebirge bereiste. Dieser schreibt im Band II seines Werkes "Briefe über Schlesien ..." (Berlin 1792): "Auf dem Rückweg von Meffersdorf betrachtete ich auf einer Anhöhe die westliche Spitze des Riesengebirges, den Tafelstein (Tafelfichte), wo sich die Grenzen von Schlesien, von Böhmen und der Lausitz vereinigen. Sonderbar genug ist´s, dass ein so wichtiger Punkt durch gar nichts Auszeichnendes bemerkt worden ist. Ehedem stand eine hohe Fichte auf der Stelle der Grenzscheidung, wovon noch die Bezeichnung Tafelfichte herrührt. Aber ein Sturm hat sie längst umgeworfen, und jetzt ist zur Bezeichnung der Grenze nur noch ein unbedeutender, kaum drei Fuß hoher Stein aufgerichtet. Der Rücken der Tafelfichte aus Gneis und aus einem Glimmmerschiefer, wovon ich auf dem Meffersdorfer Felde unzählige Stücke und ganze Schichten mit schönen eingesprengten Granaten fand. Da der Gipfel der Tafelfichte nach Herrn von Gersdorfs Messung 2109 Preußische Fuß über dem Meffersdorfer Schlosse liegt und da westlich und nördlich die ganze angrenzende Landschaft flach ist, kann man sich die vortreffliche Aussicht denken, die man von jenem Standorte nach Sachsen und Böhmen hat. Ich fand indessen nicht die Muße, mir diesen Genuss zu verschaffen".

Ein anderer Zeitgenosse, der ehemalige Hauptmann und spätere Chef des preußischen Generalstabs, Graf Helmuth von Moltke, verschaffte sich diesen Genuss, als er am zeitigen Morgen des 25. Juli 1835 die Tafelfichte bestieg, wohl um den Sonnenaufgang von der Höhe zu erleben. In diesem Brief, den er einen Tag später aus Wigandsthal an seine Mutter schrieb, erwähnte er diese Besteigung mit der Bemerkung: "Auf manchem Gipfel mit weiter prachtvoller Aussicht habe ich Deiner gedacht und gewünscht, dass Du ein Viertelstündchen so hinabschauen könntest". Julius Krebs dagegen, der den 1839 in Breslau erschienenen "Sudetenführer" verfasste, fand "auf der Tafelfichte nichts Erquickliches". Er bezeichnet sie zwar als "vortrefflichen Umsichtspunkt, aber auch als sumpfig und mit düsterem Nadelholze bewaldet wie der ganze Iserkamm." Er gibt die Höhe des Berges mit 3547 Fuß an und schreibt: "Von der Tafelfichte bei dem Tafelstein, von dem eins dem anderen und dann dem Berge selbst den Namen gegeben hat, ist ebenso wenig mehr etwas zu merken, wie von den zwei hölzernen Hütten, die Herr von Gersdorf für die Bequemlichkeit der Besucher hatte einst errichten lassen."

Der Prager Dichter Karl Herloßsohn, der 1840 das schlesische Isergebirge durchwanderte und von Wigandsthal aus die Tafelfichte bestieg, fand noch Spuren der zwei Schutzhütten. In seinem Buch "Wanderungen durch das Riesengebirge und die Grafschaft Glatz" (Leipzig 1841) beschreibt er ausführlich die Rundsicht von der Bergkuppe und schließt seinen Bericht mit den Worten: "Von allen Seiten besteigbar, wird die Tafelfichte am meisten und bequemsten von Meffersdorf oder Wigandstal aus be-stiegen, entweder an der Lausitz in Bergstraß und Straßberg oder in Schwarzbach hinauf, das sich bis zu einer Höhe von 2033 Fuß an die Tafelfichte hinanzieht. Beide Wege führen dann über den 2400 Fuß hohen bewaldeten Drechslerberg, und man gelangt hierauf an den Tafelstein, eine 3280 Fuß hohe Granitmasse, welche die Grenze von Schlesien, Böhmen und Lausitz bezeichnet. Endlich erreicht man nach kurzem Steigen die weite Ebene des Gipfels. – Die anderen Wege von Liebwerda, den Iserhäusern und den Iserkamm sind wegen steten Sumpfes und vieler Windbrüche weit beschwerlicher und, da man fast immer im Walde geht, ohne Führer nicht zu wagen, wogegen man den ersten Weg allenfalls auch ohne Führer finden wird".

Nachdem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Fichtenwald auf der Bergkuppe stark herangewachsen war und ein Aussichtsgerüst fehlte (es befand sich damals lediglich eine Forsthütte auf dem Gipfel), verlor der Dreiländer-Grenzberg für Jahrzehnte wegen der fehlenden Aussicht jegliches Interesse für den Besucher. Noch 1883 schrieb Prof. Franz Hübler in seinem "Führer durch das Jeschken- und Isergebirge" über die Tafelfichte: "Ein Besuch der Tafelfichte (in vier Stunden von Liebwerda, Führer unentbehrlich, Proviant mitnehmen!) kann nicht empfohlen werden, weil die früher lohnende Aussicht jetzt durch den emporwachsenden Wald gehemmt ist." Und in Griebens Reisebibliothek Band 18 "Das Riesengebirge" vom Jahre 1886 hieß es: "Tafelfichte; letztere ist eine flache, runde, mit schönen Fichten bewachsene Kuppe, etwa 1200 m Durchmesser haltend, oben sumpfig. Etwa 400 m von der Grenze befindet sich das Triangulierungszeichen. Wenig Aussicht! Bessere auf dem etwa 1400 m östlich gelegenen Heufuder, eine nur um wenige Meter niedrigere flache Kuppe."

Der Besuch der Tafelfichte besserte sich erst wieder, nachdem 1892 vom Deutschen Gebirgsverein und dem Neustädter Verschönerungsverein der 18 m hohe hölzerne Aussichtsturm und ein Schutzhaus auf dem Berggipfel errichtet worden waren. Durch den Turm wurde der Berg, wenn auch künstlich, mit 1140 m zum höchsten Punkt des Isergebirges und wetteiferte seitdem an Schönheit der Aussicht mit der Schneekoppe und den Jeschken. Um die Jahrhundertwende betrug der jährliche Besuch der Tafelfichte 3000 bis 4000 Personen und steigerte sich dann in den 30er Jahren auf etwa 25 000 Personen jährlich. Heute freilich ist die Tafelfichte sozusagen wieder in ihren "Urzustand" zurückversetzt, denn nachdem nach 1945 der Aussichtsturm zusammengestürzt und auch das Schutzhaus verschwunden ist, bietet der Berg nichts mehr, was einen Besuch lohnt.

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