von Alois Tippelt
Etwa 60 km nach ihrem Ursprung durchfließt die junge Elbe das breite, freundliche Königinhofer Tal, das im Norden vom Königreichwald und im Süden vom Switschinrücken begrenzt wird. Beide FIügelketten sind Ausläufer des böhmischen Riesengebirges bzw. der Westsudeten. Am östlichen Ausgang dieses fruchtbaren Tales, in dessen Mitte sich die ehemalige königliche Leibgedingstadt und jetzige rührige Textilstadt Königinhof ausbreitet, liegt das Dorf Hermanitz an der Elbe, bestehend aus den Ortsteilen Hermanitz und Bilaun. Ein Dorf, das sich in seinem äußeren Bild kaum von allen anderen Dörfern des nordöstlichen Böhmens unterscheidet, dessen Lage aber bis zum Jahre 1945 dadurch gekennzeichnet war, dass es ein deutsch-tschechisches Sprachgrenzdorf war, mit einer Einwohnerzahl von etwas über 300 Personen. Diese waren zur Hälfte Bauern und Gewerbetreibende, zur anderen Hälfte Arbeiter, die in einem Textilbetrieb des Ortes Beschäftigung fanden. Verwaltungstechnisch war der Ort bis 1938 zugehörig zum Gerichtsbezirk Jaromer und nach 1938 dem ehemaligen Kreis Trautenau. Seit 1766 war Hermanitz auch ein bekannter Wallfahrtsort und ein Ort für gutbesuchte Katholikentage, nachdem sich in der 1721 neuerbauten Kirche ein von einem frommen Pilger mitgebrachtes Muttergottes-Gnadenbild aus Mariazell befand. Der Name des Ortes dürfte von dem einstigen Besitzer Hermann von Choustnik stammen, da das Dorf ursprünglich "Hermannsvilla", d. i. "Hermannsdorf" geheißen hat.
Urkundlich war Hermanitz seit 1356 ein Edelsitz, dessen Besitzer durch die Jahrhunderte sehr oft wechselten. Im 16. Jahrhundert fiel es an eine protestantische Linie des Geschlechtes der Waldsteine, jenes Geschlecht, das schon vor der Errichtung des Herzogtums Friedland in Ostböhmen reich begütert war und dessen Stammburgen Waldstein bei Turnau und Wellissio bei Gitschin standen. Die Waldsteine sind uralt, allerdings vermag heute niemand mehr mit Sicherheit zu sagen, woher sie gekommen sind ? Stammen sie von den deutschen "Wartenberg" aus Schlesien ab, oder von den böhmischen "Markwartic" oder kamen seine Ahnen aus der Steiermark, wo 1263 eine Burg namens "Waldstein" urkundlich nachweisbar ist. Dieses Edelgeschlecht zeigt neben vielen anderen Vorzügen unter anderem eine so außerordentliche Fruchtbarkeit, dass schon vor 300 Jahren der Geschichtsschreiber Balbin behauptete, man könne die "Waldsteine" in keine Genealogie einhauen. Ein Johann von Waldstein auf Wellissio führte i. J. 1252 dem Böhmen-König Premysl Ottokar II. 24 Söhne als Streiter für den Kriegszug nach Preußen zu. Auch lassen einzelne Ahnherren bereits von jener Begabung erkennen, die sich in so überraschender Mannigfaltigkeit in seinem berühmtesten Spross, nämlich in Albrecht-Wenzel-Eusehius manifestierten. So war Herr Hlinsko von Waldstein um 1427 Feldmarschall des Kaisers Sigismund. Sein Sohn vermählte sich mit einer Tochter Königs Georg von Podiebrad. Einer seiner Nachkommen Georg von Waldstein war nicht nur der Großvater des Herzogs von Friedland, sondern auch einer von jenen markanten Vertretern der Waldstein'schen, die kaufmännische, orgonisatorische und finanztechnische Begabung auszeichneten.
Georg von Waldstein erwarb ein großes Vermögen, betätigte sich in großzügiger Weise als Bauherr und errichtete nebenbei auf seinen Gütern Armenhäuser und Hospitäler. Aus seiner Ehe mit einer Slawata aus altböhmischem Adel ging Wilhelm von Waldstein, der Vater Wallensteins, hervor, der am 25. Juni d. J. 1571 die inmitten reicher Wiesengründe liegende Burg Hermanitz vor Jaromer von seinem kinderlosen Onkel Johann von Waldstein erbte, der das Gut mit den umliegenden Ortschaften i. J. 1548 für 3250 Schock böhmischer Groschen erstanden hatte.
Wilhelm von Waldstein war nicht nur ein tüchtiger Landwirt, sondern auch ein tüchtiger Edelmann, der des öfteren in Landesangelegenheiten entsendet wurde, was die Protokolle des Prager Landtages ausweisen. Er vermählte sich mit Margareta Smirschitzky von Smirschitz und Nachod. Auch dieses Geschlecht war in hohem Ansehen. So war ein Jaroslaus Smirschitzky kaiserlicher Oberhofmeister in Prag und sein Sohn Sigismund erreichte sogar die Würde eines Mundschenks bei Kaiser Rudolf II. Dennoch starb dieses Geschlecht sehr bald aus .
Aus der Ehe entsprossen drei Söhne und vier Töchter und zwar: Johann-Georg, Adam, Albrecht-Wenzel-Eusebius, Maria-Magdalena, Hedwig, Margareta und Anna-Katharina. Fünf Geschwister starben jedoch bereits im zarten Kindesalter und wurden in Hermanitz beerdigt, wovon fünf an der Außenseite der Kirche eingemauerte Leichensteine noch heute Zeugnis geben. Das Wallenstein'sche Wappen ist überall noch gut zu erkennen, die Schrift aber ist kaum mehr leserlich. Auch die Eltern starben frühzeitig. Die Mutter Margareta am 27. Juli 1593 und ihr Gatte Wilhelm am 22. Februar 1595. Beide wurden in der Kirche zu Hermanitz vor dem Hochaltar beerdigt, kunstvolle in Marmor gearbeitete Grabsteine bedecken die Grabstätte.
Der einzige überlebende Sohn aus dieser Ehe, Albrecht-Wenzel-Eusebius, der nachmalige kaiserliche Generalissimus und Herzog von Friedland, war am 24. September 1583 (nach dem julianischen Kalender am 14. September), nachmittags um 4 Uhr auf Burg Hermanitz geboren. Niemand wagte zu behaupten, dass dieses schwächliche Kind lebensfähig sein würde, zumal es um 2 Monate zu früh geboren war, umsomehr musste daher sein späterer meteorenhafter Aufstieg überraschen.
Mehrere Wallensteinbiographien führen das 15 km nordöstlich von Hermanitz gelegene Burgschloss Nachod als Geburtsort des Herzogs an. Dieser Irrtum entstand wohl deshalb, weil auf dieser mütterlichen Burgfeste mehrere seiner Geschwister geboren waren und Frau Margareta mit den Kindern hier öfters auf Erholung weilte.
Über Wallensteins Kindheit berichten die Quellen wenig. Das hat seine Gründe. Die Hermanitzer Linie der Waldsteine zählte zu niedrigem Adel, war verarmt und konnte sich keinen eigenen Gutschronisten leisten. Dazu kommt, dass das väterliche Gut nach dem Tode der Eltern von Verwandten nur mangelhaft mitbewirtschaftet wurde, und nicht zuletzt, dass im Dreißigjährigen Kriege das meiste urkundliche Material verloren ging. Wallenstein selbst hat über sich nichts geschrieben und was seine Verwandten betrifft, so hatten es diese nach seiner Ermordung doppelt schwer und kein Interesse, das Andenken ihres verfemten Vetters in Wort und Schrift zu erhalten. Somit umgibt auch die Kindheit Wallensteins den Schleier des Geheimnisvollen, Tragischen und Unzulänglichen. Aus seinen Knabenjahren ist lediglich bekannt, daß er nicht ohne Ursache schon als Kind den Beinamen "der Unbändige" bzw. "der Tolle" erhielt. Bei Kriegsspielen, die ihm von allen Spielen die liebsten waren, wollte er stets der Anführer sein und verlangte von seiner "kleinen Armee", deren Soldaten dem zehnjährigen "General" an Jahren weit überlegen waren, unbedingten Gehorsam. Jeder Widerspruch wurde von der Furcht vor seinem Zorn schon im Keim erstickt. Seine Eltern und Erzieher haben ihn gewähren lassen, teils weil er als einziger adeliger Knabe auf dem Gute den übrigen Kindern von Geburt wegen vorgesetzt war, teils weil sie sich darüber freuten, daß er schon als Knabe sein Herrenrecht zu behaupten wusste, teils weil sie sich überhaupt wenig um ihn kümmern konnten.
Sei dem wie auch immer, von entscheidender Bedeutung im Leben Wallensteins ist, dass seine Eltern viel zu früh starben. Die Großmutter konnte nur wenig ersetzen und sein Vormund noch viel weniger und so verbrachte Albrecht seine Jugend ohne mütterliche Liebe, ohne das Gefühl glückhaften Geborgenseins in einem väterlichen Hause. Wundern wir uns daher nicht allzuviel, wenn wir im späteren Fürsten und Generalissimus von Wallenstein die Tugenden vermissen, die den Menschen zieren und ihm die Zuneigung und Liebe der Mitmenschen angedeihen lassen.
Wilhelm von Wallenstein hatte testamentarisch Heinrich Slawata von Clum auf Koschumberg zum Vormunde seines Sohnes Albrecht bestellt und so wird der Knabe mit 12 Jahren von seinem Oheim in Pflege genommen. Noch auf dem Sterbebette hatte der Vater verfügt, dass Albrecht "im Glauben Luthers gefestigt, in seinem Wissen bereichert und in allem, was dem Sprossen eines alten Herrengeschlechtes zu kommt, unterwiesen werden möge." Slawata starb jedoch bereits im Jahre 1599 und Kaiser Rudolf übertrug die Vormundschaft auf Jitka von Waldstein auf Dubenetz, eine hochgebildete adelige Dame, der Wallenstein zeitlebens sich zu großem Dank verpflichtet fühlte.
Erst im Jahre 1602 kehrte Wallenstein erstmalig auf das, väterliche Gut in Hermanitz zurück, nachdem er in Italien die hohen Wissenschaften und die schönen Künste studiert hatte. Allem Anschein nach war er noch immer Protestant, denn auf der Glocke, die er im gleichen Jahre seiner Heimatgemeinde schenkte, stehen zwei Sprüche, die der Bibel in der Übersetzung der "Böhmischen Brüder" entnommen sind. Es ist nicht bekannt, was damals den "Stürmer und Dränger" Baro von Waldstein bewog, nach Hermanitz heimzukehren. Sicher hatte er nicht vor, nun gleich seinem Vater das beschauliche Leben eines Landedelmannes zu beginnen, zumal er während seiner großen Kavalierstour durch Holland,: Frankreich und Italien bereits die große Welt kennen gelernt hatte. Schon im Jahre 1604 kommandierte er als Hauptmann ein Fähnlein Fußvolk im Regiment des Grafen Mathias von Thurn.
Nachdem Wallenstein durch seine Heirat mit Lukretia Nekesch vermögend geworden war, verkaufte er i. J. 1610 das Gut Hermanitz an Hannibal von Waldstein auf Arnau, Sr. Maj. Rat und oberster Münzmeister des Königreichs Böhmen. Doch gehörte Hermanitz dem neuen Herrn nicht lange. Schon i. J. 1615 war er derart verschuldet, dass es versteigert werden musste. Der Gewinner ein Herr Wilhelm von Lobkowitx der Ältere, verkaufte die Rechte wiederum der Gemahlin Hannibals, Katharina Waldstein auf Dub, die aber die Rechte das Jahr darauf ihrem Sohn Wilhelm übertrug. Im Jahre 1618 kaufte die Burg Johann Heinrich von Oppersdorf, dem aber das Gut 1621 konfisziert wurde, weil er sich 1618 am "Böhmischen Aufstand" beteiligte. Nun kaufte am 21. 1. 1623 Albrecht-Wenzel-Eusebius von Waldstein die Burg seiner Väter für 25381 fl 45 kr. und gelangte so zum zweitenmal in ihren Besitz. Damals aber beschäftigte er sich bereits mit großen Plänen, er behielt Hermanitz nicht, sondern veräußerte es 1 Jahr später an eine Gräfin Magdalena Terzky von Lobkowitz.
Damit endet die Geschichte der "Hermanitzer Waldsteine". Die Hermanitzer Burg ist nicht erhalten geblieben. Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war sie schon verfallen und unbewohnt. Als zwischen 1780-1790 die Festung Josefstadt 40 km nördlich von Königgrätz erbaut wurde, wurde ihr Gestein auf Geheiß von Kaiser Josef II. abgetragen und mit verbaut. Erhalten ist nur ein Schlosskeller.
Auch sonst erinnerte nur wenig an die "große Zeit" der Hermanitzer Waldsteine. Doch befinden sich noch heute in der Kirche die wertvollen Grabsteine der Eltern Wallensteins, deren Gebeine jedoch in die Familiengruft nach Münchengrätz überführt wurden. Am 25. Februar des Jahres 1883 wurde in einer Feierstunde des Deutschen pädagogischen Vereines für den Bezirk Königinhof am Schulhaus zu Hermanitz eine schlichte Gedenktafel angebracht, die den Fremden daran erinnern soll, dass in diesem Orte vor 300 Jahren die bedeutendste Gestalt des Dreißigjährigen Krieges geboren war.
Letztmalig stand das Dorf Hermanitz am 24. Februar 1934 im Mittelpunkt einer eindrucksvollen historischen Gedenkstunde, nämlich anlässlich zur 300. Wiederkehr von Wallensteins Todestag. Neben hohen Vertretern von Kunst und Wissenschaft des In- und Auslandes, waren auch etliche Nachkommen des Geschlechtes derer von Wallenstein anwesend, um das Andenken des großen Feldherrn und Staatsmannes zu würdigen.
Text der Wallenstein-Gedenktafel an der Schule zu Hermanitz a. d. Elbe, angebracht am 25.02.1883 zum Gedenken des 300. Geburtstages des Herzogs.