Quelle: Riesengebirgs-Buchkalender 1989

Riesengebirgs-Marterln

von Erhard Krause, Berlin

In Rübezahls Reich, auf der böhmischen und schlesischen Seite des Gebirges, gibt es eine Anzahl Gedenksteine, Wegkreuze und Bildstöcke, welche als Marterln anzusprechen sind, da sie auf Grund von Unglücksfällen, Mordtaten, Wildererbegebenheiten usw., errichtet wurden. Die meisten dieser zum Teil noch vorhandenen Gedenkzeichen befinden sich auf der Südseite des Riesengebirges, wo es z. B. im Riesengrund mehrmals zu Lawinenstürzen und Erdrutschen (Muren) gekommen ist, die mehrere Menschenleben forderten. Ein noch existierender Bildstock im Riesengrund weist eine Kupferplatte auf, in welche nachstehende Inschrift geritzt ist:

"Zum frommen Andenken an die wunderbare Rettung des Johann Bönsch, dessen Weibes Maria und dessen Schwiegermutter Juliana Buchberger, welche beim Hochwasser vom 29. – 30. Juli 1897 mit dem Haus Nr. 108 an dieser Stelle durch eine Erdlawine verschüttet wurden, sowie an Albine Goldmann und Maria Bönsch, welche dabei ums Leben kamen."

Am 14. Feber 1865, nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr, wurde an der Sacherlehne der Forstadjunkt Berger von einer abgehenden Schneelawine verschüttet und konnte nur noch tot geborgen werden. Der ihn begleitende Forstpraktikant Prasil entging dem weißen Tod nur dadurch, dass er der plötzlich in Bewegung geratenen Schneemasse seitwärts davonlaufen konnte. An dieses Lawinenunglück erinnert an der Sacherlehne (südlich von Spindlermühle, dort wo orographisch links die Klausel in die Elbe mündet und wo einst die Michelmühle stand, gegenüber am Steilhang, standen die Sacherbauden und hier ist die Sacherlehne!) die nachstehende, in eine Felswand eingemeißelte kurze Inschrift:

"Vincenz Berger
Forstadjunkt
Schneelawine • 14.2.1865"

Ebenfalls von einer Schneelawine verschüttet im Riesengrunde wurde am 1. April 1900 der wackere Bergführer und Winterwächter der Riesenbaude, Dix, an den hinter dem sogenannten "Kiesgraben" rechts am Wege ein eisernes Kreuz erinnert. Als das Unglück geschah, hatte Dix die Leiche seiner Frau nach Aupa schaffen wollen. Das Kreuz besteht noch und trägt nunmehr eine Tafel mit tschechischer Inschrift.

Am Wege von der Geiergucke zur Wiesenbaude, wurde vor vielen Jahren am Bergsattel dieses Weges, eine kleine Steinkapelle zum Gedenken an Wenzel Renner aus der Wiesenbaude errichtet, der an dieser Stelle beim Holztransport tödlich verunglückte. Diese später aus Glimmerschieferplatten erneuerte, wetterfeste Kapelle, wird auch "Gewitterkapelle" genannt, weil dort die Unwetter öfters Opfer forderten. Vom Blitze erschlagen wurde am 22. August 1939 bei dieser Kapelle am Hochwiesenberg ein Mädchen aus Gablonz. Auch fand 1925 dort ein Wintertourist den Erfrierungstod. Diesen Toten wurde ein Jahr später ein Gedenkstein gesetzt. Ein weiteres Kreuz an diesem Wege, gedenkt des verunglückten Jakob Renner, der am 11. April 1868 mittags durch Schneesturm ums Leben kam. Jakob Renner war der Eigentümer der Wiesenbaude und Bruder des vorerwähnten Wenzel Renner.

Am Nordhang des Silberkammes über dem steilabfallenden Hainer Schneeloch, befand sich ein Denkmal für vier am 22. Dezember 1929 im Schneesturm erfrorenen Skiläufer. Über dieses Unglück berichtet der "Wanderer im Riesengebirge", Nr. 2, Feber 1930, die folgenden Einzelheiten:

"Am 22. Dezember 1929 verließ eine nationalsozialistische Sportabteilung (Berliner und Hirschberger) die Spindlerbaude in Richtung Prinz-Heinrich-Baude, gegen 15 Uhr, trotz Schneesturms. Von der Gesellschaft kehrten einige auf halbem Wege um und kamen zur Spindlerbaude zurück. Drei Mann trafen auf der Prinz-Heinrich-Baude ein. Von beiden Bauden gingen Hilfstruppen aus, die noch mehrere Leute retten konnten. Aber den Berufsschüler Werner Wessel, den Buchbinder Fritz Radioff und die Kontoristin Hildegard Schönfeld, fand man am Silberkamm nur noch als Leichen. Der 26jährige Landwirt Hans Tesche aus Hirschberg, wurde erst am folgenden Mittag, im sogenannten "Schneeloch" tot aufgefunden."

Zwei Gedenksteine standen auf dem schmalen und langen Rücken des Riesenkammes (1420 m) am Faltiswege. Das eine Denkmal gedachte des dort beim Schneeschuhlaufen, bei schlimmem Wetter im Winter 1909 ums Leben gekommenen Lehrers Max Wobus aus Hermsdorf städtisch und trug folgende Inschrift:

"Hier verunglückte am 27.2.1909 Lehrer Max Wobus aus Hartau, st. ein eifriger Förderer des R. G. V. Ortsgruppe Hermsdorf st. Michelsdorf".

Der zweite unweit davon befindliche Gedenkstein war für einen im Schneesturm verunglückten Hirschberger Schüler, namens Jeschke, gesetzt worden.

Vom sogenannten "Gehängeweg", der von Krummhübel mit starker Steigung (auf 6 km Weg, 800 m Steigung) auf den Koppenplan führt, zweigte am Beginn der Knieholzregion rechts ein Pfad (Pürschsteig) nach Westen ab, der ohne eigentliche Steigung über den Rücken des "Breiterberges" (landläufig Bretterberg) in etwa 10 Minuten zu dem Denkmal (1322 m) des dort im Jahre 1877 von Wilddieben erschossenen Försters Frey aus Wolfshau führte. Der oder die Täter hat man nie erwischt. Angeblich soll der Tatverdächtige nach Amerika ausgewandert sein. Theodor Fontane, der mehrmals in Krummhübel zur Sommerfrische weilte, lieferte diese Wildererbegebenheit den Stoff zu seinem Roman "Quitt", der erstmals in der Zeitschrift "Gartenlaube" veröffentlicht wurde. Dieses Denkmal dürfte noch erhalten sein.

Folgte man in Agnetendorf dem dort bei der Schule westlich vorbeiführenden "Leiterweg", der als prächtiger, chaussierter Waldweg durch die weiten, dunklen Waldungen des Schindelgrundes an den "Drei Urlen" vorbei nach Schreiberhau führt, so kam man bald zu einem steinernen Wegweiser, wo rechts ein Fahrweg nach Kiesewald abbiegt. Dieser Weg führt an "Maywalds Tode" vorbei, einem Denkmal, das an einen Förster erinnert, welcher hier mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einem Kampf mit Wilderern, von ihnen mit seinem eigenem Gewehr über den Kopf geschlagen wurde. Er kam blutüberströmt noch bis zu seinem Haus, wurde aber besinnungslos und starb ohne angeben zu können, wer ihn tödlich verletzt hat. Das Denkmal trägt folgende Inschrift:

"Hier fand seinen Tod G. Maywald d. 17. Sept. 1838."

Zwei äußerst widersprüchliche Aufsätze über die Geschichte dieses Marterl erschienen im "Wanderer im Riesengebirge", Heft 5, 1. Mai 1906 und in Nr. 9, September 1938. Bei dem letzteren war ein gutes Foto des Denksteins dabei.

An eine weitere grausige Bluttat erinnerte ein dicht am Kammweg unterhalb der Sausteine (1390 m) befindlicher Gedenkstein. Dort wurde der Baudenwirt Alois Hollmann aus der Wossekerbaude grausam ermordet. Lessenthin berichtet darüber in seinem Buche "Das Riesengebirge im Winter" (Breslau 1901) die nachstehenden Einzelheiten:

"Alois Hollmann aus Krausebauden wurde am 24. September 1871 im kräftigsten Mannesalter in der Nähe der Wossekerbaude das Opfer eines ungesühnt gebliebenen Verbrechens. Er verblutete unter den Händen eines Raubmörders. Mit 24 Messerstichen war der Körper des Ermordeten bedeckt. Seine Barschaft und die neuen Stiefel waren die Beute des Raubmörders geworden. Hollmann, ein Mann stark und gewandt wie kein zweiter im Gebirge, war offenbar hinterrücks überfallen und nach langem heftigem Kampfe überwältigt worden. Der Urheber des Verbrechens ist trotz aller Anstrengungen der österreichischen Sicherheitsorgane nicht ermittelt worden. Man vermutet, dass der Raubmörder identisch war mit einem zu derselben Zeit aus dem Gefängnis zu Olmütz entsprungenen, gefährlichen Einbrecher, dessen man nicht wieder habhaft geworden ist."

 

Erwähnt sei noch, dass sich ein Gedenkzeichen in der Laurentiuskapelle direkt auf der Schneekoppe befand. Ob dieses noch existiert, ist nicht bekannt! Über die Geschichte dieses kleinen Denkmals berichtet der "Wanderer im Riesengebirge" 1910 folgendes:

"In der Kapelle auf der Schneekoppe befindet sich ein kleines Denkmal, gekrönt von einer Marienfigur, welche von den zwei Schwestern eines verunglückten russischen Studenten aus Warschau angefertigt wurde. Das kleine Denkmal ist an der Wand der Kapelle neben dem Altar aufgestellt. Im Jahre 1828 versank dieser Student auf der Moorwiese zwischen der Wiesen- und Riesenbaude".

Einen weiteren Gedenkstein an ein Opfer der harten Gebirgswinter finden wir unschwer nur einige hundert Meter nordnord­westlich der Wiesenbaude auf freier, grasiger Fläche. Der knapp einen Meter hohe, schiefstehende Stein, trägt eingemeißelt die noch gut lesbare Inschrift:

"Franz Fries
erfroren 2. März 1903."

Hier sei eingeschaltet, sowohl dieser Gedenkstein als auch eine ganze Anzahl alter aber auch neuerer Erinnerungszeichen an tödliche Geschehnisse, sind in der ausgezeichneten Riesengebirgskarte (Ausgabejahr 1983) genau eingezeichnet. Vorstehendes Marterl wird mit rotem Kreuz und der Bezeichnung: "Friesuv nahrobek" angeführt.

Nicht vergessen zu erwähnen soll auch das Denkmal auf der Goldhöhe für die 1913 im Schneesturm erfrorenen zwei tschechischen Skiläufer Hanč und Vrbata werden. Über dieses tragische Geschehen gibt die nachstehende Notiz Auskunft:

"Bohumil Hanč nahm am 24. März 1913 an dem 50 km Langlauf teil, welcher Start und Ziel bei der Elbfallbaude hatte. Es kam ein Schneesturm auf, und die meisten Teilnehmer (Deutsche und Tschechen) gaben auf und blieben in der Baude. Hanč wollte es, trotzdem er auch schon sehr erschöpft war, erzwingen, und lief weiter. Auf der Goldhöhe, wo er wieder zusammengebrochen war, kam ihm sein Freund Václav Vrbata zu Hilfe. Letzterer war aber nicht Teilnehmer des Wettlaufes. Er zog seine Jacke aus und streifte sie Hanč über. Trotzdem kam Hanč dann nur noch ein Stück weiter und brach endgültig zusammen. Tod durch Erschöpfung und Erfrieren. Aber auch Vrbata widerstand auf Grund seiner nunmehr unzureichenden Kleidung nicht mehr lange dem Schneesturm und der Kälte, und erfror gleichfalls. Die heutige Denkstätte bezeichnet den Ort, wo Vrbata seinen Tod fand. Zum Gedenken dieses aufopfernden Freundes wurde die 1964 eröffnete Baude auf der Goldhöhe "Vrbata-Baude" genannt."

Im Folgenden wollen wir nun über fünf weitere noch bestehende Marterln aus der Zeit vor 1945 im Riesengebirge kurz berichten. Die Angaben dazu verdanken wir wie­der unserem rührigen Gebirgsfreund und Heimatforscher Emil Novak in Neustadt an der Tafelfichte, der freundlicherweise auch die deutsche Übersetzung der teilweise tschechischen Marterlinschriften besorgte, wofür ihm herzlich gedankt sei. Herr Novak ist Mitverfasser dieses Aufsatzes. Ein schöner Gedenkstein befindet sich unterhalb der Hofbauden auf der Fläche der hinteren Rennerbauden. Die deutsche Inschrift auf dunkler Kunststeintafel des gut erhaltenen Marterls lautet:

"Rasch tritt der Tod den Menschen an.
Es ist ihm keine Frist gegeben.
Es stürzt ihn mitten in der Bahn,
Es reißt ihn fort vom vollen Leben.
Zur Erinnerung an den jugendlichen
Schneeschuhfahrer Josef Zinecker,
der in der Nähe den Tod fand – 1913.

Ortsgruppe Rennerbauden D. B. d. D. i. B.
Schneeschuhlaufverein Rübezahl."

Kurz vor den "Mannsteinen" rechts südlich vom Kammweg in Richtung Peterbaude, ist an einer Tafel, die an einem kleinen Steindenkmal befestigt ist, eine tschechische Inschrift zu lesen, die ins Deutsche übersetzt lautet:

"An diesem Ort verunglückte tragisch bei einem Schneesturm der Direktor der Pressekanzlei Richard Kaiman am 15.1.1929."

Dies ist das zweite Marterl. Vom dritten ist folgendes zu berichten: Neben dem alten Fahrweg von den Schüsselbauden zur jetzigen "Jestřabi bouda" steht ungefähr in der Hälfte, der Wegstrecke ein Erinnerungsmal, dessen nunmehr tschechische Inschrift, aufs Deutsche übersetzt, verkündet:

"Judr. Jiři Vrabec
Judr. Mila Machek
21.1.1933 endeten hier
die Spuren im Schnee,
überwältigt im ungleichen Kampf
mit der Natur."

Ergänzend dazu berichtete der "Wanderer im Riesengebirge", Nr. 3, März 1933, Seite 44, die folgenden Einzelheiten:

"Zwischen dem 21. und 22. Jänner 1933, kamen der aus Reichenberg stammende Auskultant des Kreisgerichtes Machek und der Rechtspraktikant Dr. Vravec im Gebiet der Goldhöhe bei einem Schneesturm ums Leben."

Etwa 250 m oberhalb der Wossekerbaude ist rechts am Wege eine kleine Tafel angebracht, welche den Namen Rudolf Starek (in Schreibschrift) und die Daten *23.3.1885, † 1.2.1935 aufweist. Der "Wanderer im Riesengebirge", Nr. 3, März 1935, Seite 47 meldete dazu:

"Am 1. Feber 1935 wurde Ing. Rudolf Starek, nur wenige hundert Meter von der Wossekerbaude entfernt, Opfer eines Schlaganfalles."

In einem der letzten Hefte des "Wanderers im Riesengebirge", etwa März 1942, findet sich folgende Mitteilung:

"Von einer Lawine verschüttet wurde am 16. Feber 1942 bei Petzer auf dem Wege zur Zehgrundbaude der Skilehrer Otto Hallmann aus Giersdorf. Vor den Augen seiner Kameraden wurde er von den plötzlich abgehenden Schneemassen in den Zehgrund geschleudert. Obwohl er nach kaum einer Viertelstunde geborgen wurde, blieben die Wiederbelebungsversuche erfolglos".

An diesen Verunglückten erinnert auf einem großen Block im Bachbett des Zehgrundes die heute noch deutlich lesbare Einmeißelung:

"2.7.1911 – 16.2. 1942

Hier verunglückte im Dienst tödlich
Feldwebel Otto Hallmann.
Fl. II. Kdtr. Königgrätz."

Das sind die fünf noch bestehenden Marterln (bis 1945!) auf der böhmischen Gebirgsseite des Riesengebirges. Bei den sogenannten "Ludersteinen" (einem auch "Hüttenkamm" genannten Querkamm, den der Hauptkamm von der Einsenkung des "Löcheis" (1150 m) nach Norden aussendet), befand sich lange Zeit ein Bildstock, der an den Erbauer der Peterbaude, Ignaz Pittermann aus Ochsengraben erinnerte. Ignaz Pittermann (vielfach fälschlich "Petermann" genannt) erbaute die Peterbaude 1811 als "Sommerbaude" und verkaufte diese 1844 mit allen Nutzungen, Rechten und Lasten an seinen Pflegesohn Johann Zinecker; er selbst behielt als Ausgedinge die lebenslängliche freie und unentgeltliche Wohnung sowie für 2 Nutzkühe die freie Fütterung und Stallung. Der alte Mann konnte sich aber nicht lange dieses Ausgedinges erfreuen. 1849 von einem Besuch in Agnetendorf zurückkehrend, wurde er von einem plötzlich auftretenden fürchterlichen Schneesturm überrascht und am anderen Morgen bei den erwähnten "Ludersteinen" erfroren aufgefunden.


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