Unter den Völkern der Erde eignen
sich nicht alle in gleicher Weise als Besiedlungspioniere. Als solche stehen
an erster Stelle die Abkömmlinge der germanischen und in zweiter Linie
die der romanischen Volksstämme, während die Salven, gleichgültig
ob sie schon im frühen Mittelalter oder erst in der Neu- und Jetztzeit
nach Europa eingeströmt sind, jeglicher Pioniertätigkeit absolut abhold
sind. Deren Mentalität erstreckt sich lediglich darauf, von anderen bereits
Geschaffenes unter Berufung auf fadenscheinige politische Gegebenheiten für
sich in Anspruch zu nehmen, welche Eigenheit auch bei im Laufe der Jahrhunderte
in Europa eingesickerten Orientalen zu finden ist.
Aus dem im vorigen Absatz geschilderten Grunde ist das Riesengebirge trotz seiner
zentralen Lage im 12. und 13. Jahrhundert besiedelt worden; denn drohend ragten
seine einen großen Teil des Jahres schneebedeckten Berghäupter weit
in die böhmischen und schlesischen Ebenen, düster und unwegsam waren
seine engen Täler und ungeheuren Wälder, wo auch Bären bis in
das 17. Jahrhundert noch vereinzelt lebten und früher auch die Wölfe
daheim waren. Urkundlich ist die Besiedlung des Riesengebirgsvorlandes bis ins
12. Jahrhundert nachweisbar. Immer weiter eroberten mühsam die Bewohner
die Gebirgstäler und schufen die ersten Siedlungen. Der Bergbau bot ihnen
die erste Lebensgrundlage, und als dieser nicht mehr ausreichte, wurde gerodet.
Von nun an schufen sich die Riesengebirgler für sich und ihre Nachkommen
durch mühsame Arbeit, zu der die heutigen Nutznießer unserer Heimat
nie fähig gewesen wären, das unveräußerliche Recht auf
den von ihnen urbar gemachten Grund und Boden. Millionen und Abermillionen Schweißtropfen
kleben an den zu Einfriedungsmauern ihrer Wiesen verarbeiteten Rodesteinen.
Wie viele Tausende mögen es wohl sein, die im harten Daseinskampf, im Ringen
mit den Elementen, durch Schneestürme, Überschwemmungen, Geschiebe-
und Schneelawinen zu Tode gekommen sind? Sie haben es trotz allem in zäher
Arbeit geschafft und ihren Kindern und Kindeskindern eine schöne Heimat
bereitet. Der Wohlstand der deutschen Besiedler des Riesengebirges wuchs; denn
nachdem sie sich Wiesen- und Weideland geschaffen hatten, wurden sie Viehzüchter,
deren Herden mit diskretem Glockenklang die blumigen Almen oberhalb der Baumgrenze
beweideten. Es entstanden daselbst Almhütten (im Riesengebirge Sommerbauden
genannt), wo selbst die Ergebnisse der Milchnutzung zu Butter und Käse
verarbeitet wurden, um in den Städten des Vorlandes abgesetzt zu werden.
Um aufzuzeigen, mit welchen Schwierigkeiten die Ursiedler des Riesengebirges
zu kämpfen hatten, sei im folgenden die Entstehung einer Baude kurz geschildert:
Am Anfang stand der Urwald, durchwegs auf Steilhängen stockend. Zur Ansiedlung
geeignete Stellen desselben wurden gerodet, selbstredend in Gemeinschaftsarbeit.
Das hierbei anfallende Holz wurde abgehängt und gestapelt; denn eh es gezimmert
werden konnte, musste der hierfür erforderliche Raum geschaffen werden.
Dieser wurde auch der Bauplatz für das Haus. Dies war eine schwere Arbeit;
denn der Urwaldboden war mit gewaltigen Geröllblöcken durchsetzt,
die oft gespalten werden mussten, um beseitigt werden zu können. Um eine
ebene Baufläche zu schaffen, musste durch Geländeaushub und Terrassenaufbau
zunächst der Zimmerplatz zur Bearbeitung des Bauholzes vorbereitet werden,
dann erst konnte der Bau beginnen. Derselbe wurde so durchgeführt, dass
nach Grundriss (Fig. 2) nur die Wohnräume und der Flur aus Holz erstellt
wurden, während der Stall und der meist in den Berg gesetzte Keller aus
den ja so reichlich vorhandenen Steinen (Granit) aufgemauert und überwölbt
wurden. Die Holzkonstruktion führte man nach dem Blockhaussystem auf, und
zwar so, dass immer zwischen je zwei Balken ein etwa fingerstarker Zwischenraum
verblieb. Diese "Fugen" wurden nachdem das Gebälk einigermaßen
lufttrocken geworden war mit einem Gemisch von Hobelspänen und "Haarwolf",
einem perenierenden Almengras, verstopft "ausgeleistet" und
später übermörtelt. Die Stubenbedeckung wurden handgesägte
Bretter, "Pfosten", verwendet, wie auch das Dach mit handgemachten
Holzschindeln eingedeckt wurde. Nachdem auch die Inneneinrichtung aus geschnittenem
und gehobeltem Fichtenholz hergestellt war, konnte das Haus bezogen werden.
Es war darin ein gesundes Wohnen, und die darin geborenen Kinder wuchsen trotz
einfachster oder, richtiger gesagt, infolge einfachster Lebensweise zu kräftigen,
widerstandsfähigen Menschen heran, die den Anforderungen ihrer harten Umwelt
vollauf gewachsen waren. Figur 3 und 4 zeigen die Vorder- und Seitenansicht
der in jenen Besiedlungstagen in harter, entsagungsvoller Arbeit entstandenen
typischen Gebirgsbauden, die späterhin behufs besseren Wetterschutzes noch
durch einen Schupfenvorbau, der auch die Haustür einschloss, erweitert
wurde.
Nach oder schon im Zuge der Errichtung ihrer Bauden schufen sich die Neusiedler das zum Existenzaufbau unbedingt erforderliche Nutzland. Die hiermit verbundenen Arbeiten stellten an unsere Vorfahren den ungeteilten Einsatz ihres Wollens und Könnens; denn es war ja urigster Bergwald, mit jahrhundertealten, knorrigen Fichten bestockt, dem dieses abgerungen werden musste. Gewachsener Fels und gewaltige Geröllblöcke stießen durch den Waldboden, der in den meisten Fällen ein Steilhang war. Das Abholzen der für die viehwirtschaftliche Nutzung in Aussicht genommenen Flächen zerfiel in mühsame Arbeitsgänge; denn der Fällung der Baumriesen folgte deren Zerkleinerung, Abrückung und Nutzbarmachung, wonach die Ausrodung der weitwurzeligen, mit dem Geröll verfilzten Stöcke an die Reihe kam. Diese Arbeit war mit den den Siedlern damals zur Verfügung gestandenen Mitteln sehr mühsam und zeitraubend, sie bedeutete aber noch keineswegs das Ende der Rodetätigkeit, da nach dieser noch die Entsteinung des gewonnenen Nutzlandes folgte. In ungezählten Arbeitsstunden wurden die das Rodeland bedeckenden Geröllblöcke zerkleinert und mittels Schubkarren zu Haufen an den Bergsiedlungen der oberen Elbe "Stajnrick" und an denen der oberen Aupa "Stähnricke" genannt zusammengeführt. Nachdem die nun freigewordene Erdkrume möglichst gleichmäßig über die Fläche verteilt worden war, wurde das Weitere Gott befohlen. Vom nächsten Frühling, der allerdings meist erst Mitte Mai einsetzte, angefangen, begann sich das gerodete Land zu begrünen, und von da ab bot es einer oder mehreren Ziegen karge Nahrung. Es war ein weiter Weg bis zu dem Zeitpunkt, da die Kuhhaltung möglich wurde. In rastloser Arbeit wurden die geschaffenen Bergwiesen verbessert, und als endlich genügend Kuhdünger zur Verfügung stand, besserte sich die Viehfutterleistung des Neulandes rasch. Der Transport des Düngers, dem kein Stroh beigemengt war, da der Riesengebirgsbauer im Stall höchstens Sägespäne einstreute, erfolgte von alters her mittels am Rücken zu tragender "Butten". Erst um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gingen die Bewohner der an der oberen Aupa gelegenen Bergweiler von diesem Modus ab und transportierten den Dünger in Schubkarren, die an einem Seilaufzug liefen, zur Höhe (Fig. 7). Als sich der Viehstand mehrte und die Milchproduktion den Eigenbedarf zu übersteigen begann, wurden die überschüssigen Molkereiprodukte am Rücken oder mittels Schubkarrens zu Tal gebracht und in den ebenfalls deutsch besiedelten Städten des Riesengebirgsvorlandes gewinnbringend abgesetzt. Hierdurch kam der erste Wohlstand in unsere Bergsiedlungen. Dieser wurde mit Bedacht verwaltet und ausschließlich zur Erweiterung der viehwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten eingesetzt. Da das Riesengebirge inzwischen Grundherren erhalten hatte, pachteten sich die Bergsiedler von diesen das oberhalb der Baumgrenze gelegene Almengelände (Hutweiden genannt), das teils beweidet, teils bemäht wurde. Der Transport des daselbst gewonnenen Heues erfolgte ebenfalls am Rücken, und zwar auf den aus den Alpenländern bekannten Kraxen (in der Heimat "Hocke" genannt) oder auf Hörnerschlitten. Auf die ersteren wurden von besonders kräftigen Männern bis zu hundert Kilo Heu aufgeladen und diese Last oft mehrere Kilometer auf holperigen Fußsteigen hangabwärts getragen (Fig. 6). Das Geschlecht der Urbesiedler des Riesengebirges war schon längst zur ewigen Ruhe eingegangen, als deren Kinder und Enkel in den vollen Genuss des von diesem Geschaffenen kamen. Die Bewohner der im Laufe der Jahrhunderte in den Riesengebirgstälern entstandenen Streudörfer und hochgelegenen Bergweiler lebten aber nicht nur ihrem Eigenbesitz, sie trugen auch als Waldarbeiter viel zur Erschließung der Heimat bei. Die ersten Maßnahmen zu deren Durchführung bestanden im Ausbau der erforderlichen Verkehrswege, um zunächst einmal das in den Bergwäldern gefällte Holz den Verwertungsstellen zuführen zu können; denn - besonders im Aupatal entwickelte sich die Holzpappen- und Papierindustrie, zu deren Unternehmertum auch meine Vorfahren mütterlicherseits gehörten.
Es ist anzunehmen, dass der Bau der ersten Fahrwege längs der Flussläufe
erfolgt ist. Wer aber zu unserer Zeit die Täler unserer schönen Bergheimat
durchwandert hat, dem ist besonders an der großen und kleinen Aupa aufgefallen,
dass es daselbst alte und neue Straßen gibt. Die ersteren sind als einfache
Fahrwege längs der Berghänge hoch über der Talsohle also
in respektvoller Entfernung von den Wildbächen geführt worden,
wodurch bewiesen erscheint, dass häufige Überschwemmungen mit Katastrophenfolge
auch in früheren Jahrhunderten dem von Menschenhand Geschaffenen feindlich
gesinnt gewesen ist. Bei dieser Gelegenheit verdient noch darauf hingewiesen
zu werden, dass bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Straße
Hohenelbe-Spindelmühle nur bis zur ersten Krausemühle im Tal entlang
ausgebaut war. Der Verbindungspfad zwischen den genannten Orten zweigte in Oberhohenelbe
in der "Lände" bergwärts ab und führte als "Steinweg"
unter den Seidelhäusern vorüber nach Hackelsdorf, von da über
Ochsengraben, den Klausenberg und den Schwarzwald zum Tannenstein und nach Spindelmühle.
Diese Straßenführung beweist, dass auch die Elbe in ihrem Oberlauf
infolge ständiger Hochwassergefahr den Ausbau von Straßen längs
der Talsohle verbot. Ihre Fluten schwollen in jedem Frühjahr zur Zeit der
Schneeschmelze für mehrere Wochen zu beträchtlicher Höhe an,
und diesen Umstand machte sich die Forstwirtschaft zunutze, indem sie das während
des vergangenen Sommers in ihren Bergrevieren in rauhen Mengen angefallene und
während des Winters zu den Lagerplätzen abgerückte Brennholz
durch diese billig nach Hohenelbe transportieren abtriften ließ.
In Oberhohenelbe wurde das angeschwemmte Holz durch eine Fangvorrichtung (Bockrechen)
in einen Flutgraben abgeleitet geländet und nach Beendigung
der Trift aufgeklaftert. Mit dem Ausbau und der Fertigstellung der Talstraße
Hohenelbe-Spindelmühle wurde die Holztrift eingestellt und, obwohl seither
schon mehr als achtzig Jahre verstrichen sind, hatten sich in Oberhohenelbe
die Begriffe "Bockrechen" und "Lände" bis zur Aussiedlung
erhalten.
Mit der allmählich fortschreitenden verkehrstechnischen Erschließung
der bisher still und weltentrückt gewesenen Riesengebirgstäler und
einsamen Höhenzüge zog eine neue Zeit für deren Bewohner herauf
und diese änderte auch ihren Typus. Während bisher alle Männer
Bergbauern, Hirten und Waldarbeiter gewesen waren und die Gleichartigkeit ihrer
Lebensführung auch ihre äußere Erscheinung uniformiert hatte,
so dass sich ein langbeiniger, hochgewachsener, vollbärtiger Typ mit verwettertem
Charakterkopf ergeben hatte, so brachte die neue Zeit eine Vielfalt der Berufe
und damit eine Typenspaltung. Der beinahe schlagartig einsetzende Fremdenverkehr
fand eine aufgeschlossene Bevölkerung, die sich rasch auf diesen umstellte
und durch den Bau von Fremdenherbergen und Touristenlagern der Gegend bald ein
anderes Gesicht gab. Was ist z. B. in Spindelmühle seit den Tagen, da die
"Schneekoppe" daselbst das einzige Wirtshaus und zugleich Posthalterei
war, und die Eingeborenen die ersten in einer alten Zweispännerdroschke
eintreffenden Sommergäste einen Breslauer Professor mit Familie
erstaunt fragten, weshalb er seine Ferien ausgerechnet in Spindelmühle
verleben wolle, und bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges alles geschaffen
worden! Und wie es hier war, so war es im gesamten Riesengebirge, und dieser
mit elementarer Gewalt in Erscheinung tretende Aufschwung und Wohlstand erregte
nur zu bald die Aufmerksamkeit der Welt und den Neid jener Weltpolitik machenden
Unterweltsmenschen, die keine Ahnung vor dem Eigentum der anderen haben, und
darum mussten wir die Heimat und das Erbe unserer Väter verlassen. Ein
Gewaltakt, wie er in der Weltgeschichte noch nicht da war.