Wandern diesseits und jenseits der Grenze in Rübezahls Reich

Eine Wanderbeschreibung von Herrn Karl-Heinz Drescher, Shukowstr. 56, 04347 Leipzig, Tel. 03 41 / 2 32 60 78

Seit geraumer Zeit hatte ich den Wunsch von Krummhübel nach Petzer und zurück zu wandern. Was vor der politischen Wende schlecht möglich war kann man jetzt als Tourist (so steht es auch schwarz auf weiß, an der Grenze am Schlesierhaus) problemlos verwirklichen.

8.30 Uhr verließ ich die Kreuzschänke und ging den Weg an der Lomnitz entlang zum Schlesierhausweg bzw. zur "Hampelbauden- Rodelbahn". Der Schlesierhausweg ist in einem sehr desolaten Zustand, dezent ausgedrückt, und das seit Jahren. Also wählte ich die ehemalige Rodelbahn zur Hampelbaude. Der Weg war überraschend in einem guten Zustand, aber eben sehr steil, wie alle Wege am Nordhang des Riesengebirges. Meine leichte, doch immerhin chronische, Bronchitis machte mir allerhand zu schaffen.

Das Wetter war nicht ideal, etwas dunstig und nur manchmal lies sich die Morgensonne blicken, aber zum Wandern schon ganz in Ordnung. Das Waldsterben hatte auch am Hang der Seifenlehne nicht halt gemacht und kahle Stellen im Waldbestand hinterlassen. Es wird jedoch aufgeforstet. Neben Fichten gibt es Buchen. Auch die wilde Eberesche wird angebaut. Bisher dachte ich immer, neben Birken gehört die Eberesche mehr zum Unkraut des Waldes. Der Forstfachmann, Herr Pradler aus Steinseiffen, klärte mich auf. Die Eberesche gehört zu den Pionierholzarten und mit dem Anbau wird eine Art Vorwald geschaffen und der Boden damit waldgerecht vorbereitet. Gute Aussichten für kommende Zeiten.

Nach einer Wanderstunde tauchte endlich die Hampelbaude in der späten Morgendämmerung auf. Wanderer kamen aus der Baude und gingen auf der Strasse in Richtung Kamm. Ich benutzte den Weg linkerhand in Richtung Seifenlehne und von dort dann den steinigen Schlesierhausweg, an der Liftstation vorbei, zum Schlesierhaus. Am Schlesierhaus eine kurze Rast ohne Einkehr. Auf tschechischer Seite wurde gebaut. Bereits vor zwei Tagen hatte ich es bemerkt, als ich im Nebel aus dem Melzergrund kam, um zum elften Mal die Schneekoppe zu besteigen. Wahrscheinlich ein Aussichtspunkt in den Riesengrund. Man nutzt dafür die Steine der abgebrannten Riesenbaude.

Das Wetter hatte sich merklich gebessert. Der Riesengrund lag im Sonnenschein vor mir. Kein Fotografierwetter, aber dennoch eine schöne Aussicht. Also den Weg in Richtung Petzer eingeschlagen. Links und rechts des Weges blühte der Schwalbenwurz-Enzian. Wenige Gehminuten vom Koppenplan entfernt, die Waldgrenze ist noch nicht erreicht, der Hochwald wird noch durch verkrüppelte Latschen ersetzt, hat man einen wunderbaren Ausblick auf den Fuchsberg (1363 m) und im Hintergrund auf den Schwarzen Berg mit seinen dunklen Waldungen. An der Wegbiegung dann auch der Blick in den großen und kleinen Aupakessel.

Am Hang des Rosenberges (1388 m) eine ehemalige Pumpstation. Die Tür ist geöffnet. An der Wand Schautafeln. Der neugierige Wanderer erfährt an Hand von Fotos und zweisprachigen Texten, dass hier, auf Forderung des Schneekoppenwirtes Heinrich Pohl beim Grafen Czernin- Morzin, 1912 die Trinkwasserleitung zur Schneekoppe fertiggestellt wurde. Ein kompliziertes Pumpsystem diente bis 1950 für die Beförderung des Wassers zu den Schneekoppenbauden. Vorher waren bis zu 12 Koppenträger täglich zur Wasserversorgung und der anderen Dinge, die für einen Hotel- und Restaurationsbetrieb notwendig sind, im Einsatz. Die Koppenträger Liebich und Robert Hofer werden auf einem Foto gezeigt. Ein kleines technisches Museum, zur Freude der Wanderer. Vor der politischen Wende wäre das nicht möglich gewesen. Damit meine ich die "Zweisprachigkeit".

Weiter unten dann der Blick auf Rübezahls Lustgarten und das Teufelsgärtchen, Fundort seltener Pflanzen, heute streng geschützt. Auf Höhe der Bergschmiede, deren Standort vom heutigen Weg nicht mehr auszumachen ist, Waldarbeiter beim Reinigen der Abzugsrinnen und beim Ausbessern des Weges. Eine Tätigkeit, die der Wanderer auf polnischer Seite schmerzlich vermisst. Dann ist der Talgrund erreicht. An der Riesengrundkapelle mache ich Rast.

Im Innern der Kapelle wieder Schautafeln, wo an die verheerende Erdlawine von 1897 erinnert wird. Die Tafeln waren schon immer da. In diesem Jahr jedoch auch hier zweisprachig. So erfährt der interessierte Wanderer, wie die Häuser von Johannes Mitlöhner und Johannes Bönsch durch die Lawine vernichtet wurden und sechs Menschen mit in den Tod gerissen wurden. Über den Tafeln ist ein Kreuz mit der Jungfrau Maria angebracht, man hat es erst vor kurzem in der Nähe vom ehemaligen Haus Bönsch im Gebüsch gefunden. An einer Tafel wird darauf hingewiesen, dass die Schlammlawine durch vorherigen Kahlschlag begünstigt wurde. Wie richtig doch diese Aussage, angesichts der Hochwasserfluten ist, die nach meiner Rückkehr aus dem Riesengebirge Teile Bayerns und Sachsens verwüsteten.

Aber nicht nur die Opfer der Muhre waren zu beklagen, auch viele waghalsige Skiläufer, die sich hier in die Zone der Lawinengefahr begaben, mussten ihre Kühnheit mit dem Tode bezahlen.

"Das ist des Teufels und Rübezahls Reich",

so zumindest steht es in einem alten Wanderführer.

Das Wirtshaus zum Riesengrund, früher auch Grossmannbaude genannt, hatte geöffnet. Es gab das erste verdiente Bier. An der Riesengrundbaude herrschte reger Betrieb. Zahlreiche Touristen hatten sich im Freisitz niedergelassen. Auf einer alten Ansichtskarte der Baude, welche sich in meinem Besitz befindet, steht zu lesen,

"Zum schönsten und gewaltigsten Blick gegen die Schneekoppe"

und etwas kleiner "neben der Baude". Die Inschrift ist entfernt. Der genannte Platz wird neu gestaltet und dem Blick wird demnächst nichts im Wege stehen.

Dann einige Meter zurück und den Weg in den Blaugrund eingeschlagen. Von hier wollte ich weiter zur Wiesenbaude. Freunde hatten mir schon vor Jahren gesagt, der Weg wäre gesperrt. Misstrauisch, wie ich nun einmal bin, stieg ich dennoch den Hang zur Blaugrundbaude hinauf. Es gab keine Möglichkeit. Dafür aber ein Flaschenbier mit dem Rübezahl auf dem Etikett. Gebraut in der Kreisstadt Trautenau / Trutnov. Die Blaugrundbaude ist ein sehr einfaches Gasthaus, mehr ein Imbiss, aber sauber.

Nun ging es wieder den Hang hinab und wenig später auf steilen Pfad in Richtung Richterbauden. Vom Weg ein herrlicher Blick auf die Blaugrundbaude und auf die höher liegenden Brunnbergbauden. Weiter oben dann wieder Forstarbeiter beim Ausbessern des Weges. Die Richterbaude, früher im Besitz der Familie Bönsch, der auch die Wiesenbaude gehörte, wird restauriert. So steht es zumindest an der Hauswand. An der Strasse zur Wiesenbaude werden Kabel verlegt. Eine rege Bautätigkeit auf böhmischer / tschechischer Seite.

Wenig später ist die Vyrovka Bouda / Geiergucke (1363 m), erreicht. Hier, im Gebiet der Geiergucke, stand früher eine Baude, von der die Zollwächter, die Geier, wie die Schmuggler sagten, Ausguck hielten. Auch hier wieder reger Betrieb. Zahlreiche Touristen nutzten den Tag zum Wandern. Mein Aufenthalt war kurz und vor mir lag der Anstieg zu den Hochwiesen am Brunnberg. Die Bronchitis kam wieder zum Vorschein. Dann war es endlich geschafft. Die vorerst höchste Erhebung des Weges war geschafft.

Vor mir lag die Wiesenbaude und links und rechts die Bunker, die zum Schutz der Tschechischslowakischen Republik, 1938 oder davor, vor einer deutschen Invasion errichtet wurden. Warnschilder sollen heute ein Betreten des Geländes verhindern. Schließlich verzichtete die damalige tschechischslowakische Regierung beim Münchener Abkommen von 1938 auf Widerstand und räumte das Sudetenland friedlich. Die Bunker waren hinfällig geworden. Nicht so glimpflich waren die Wiesen, – Richter-, und Rennerbaude davongekommen. Die Bauden wurden Opfer einer Brandstiftung. Für die Brandlegung kam nur das tschechischslowakische Militär in Frage, denn in diesen Tagen durfte sich sonst niemand in dem Gebiet aufhalten. Mit reichsdeutschen und zinsgünstigen Krediten konnte die Familie Bönsch die Wiesenbaude wieder aufbauen. So lag sie nun vor mir. Einen weiteren Ausbau zu einer monumentalen Baude verhinderte dann der zweite Weltkrieg und sein Ende. Zu kommunistischer Zeit war die Brandlegung ein Tabu. Wie geht man heute damit um? Ich war angenehm überrascht. Im Vorraum zum Restaurant wieder eine zweisprachige Dokumentation der Baude. Hinter der Jahreszahl 1938 dann der Hinweis,

"von tschechischen Militär in Brand gesteckt".

Diese Art der Vergangenheitsbewältigung hat mich doch sehr überrascht.

Weniger angetan war ich vom gastronomischen Niveau der Baude. Gegenüber vergangener Jahre hat es stark nachgelassen und die Einführung des EURO hat auch hier außerhalb vom geeinten Europa zu einer Teuerung geführt. Mehrere deutsche Touristen bestätigten diese Theorie.

Auf dem Weg zum Schlesierhaus, dann wie zur Bestätigung meiner Thesen zum Wegebau, wieder Arbeiter beim Ausbessern des Weges. Gegen 16.30 Uhr erreichte ich das Schlesierhaus. Acht anstrengende Wanderstunden lagen nun hinter mir, aber die Schneekoppe noch vor mir. Da die Sicht gut war wagte ich trotz müder Glieder den Aufstieg. Schließlich ist die Schneekoppe für einen Krummhübler der Hausberg. Um nicht allzu große Anstrengungen in Kauf zu nehmen, wählte ich den Jubiläumsweg und wurde durch die herrliche Sicht ins Hirschberger Tal belohnt. Hier oben dann erste positive Anzeichen von polnischen Instandsetzungsarbeiten an der Begrenzungsmauer des Jubiläumsweges. Beim Blick auf die Schwarze Koppe konnte ich mich dann auch noch von der Fertigstellung des Weges, bei der Emmaquellbaude beginnend und bei der Schneekoppe endend, überzeugen. Der erneuerte, tschechische, Weg endete direkt vor dem polnischen Grenzschild. Zurück ging es dann auf dem Zick-Zack-Weg und weiter auf dem Schlesierhausweg, der Lift hatte den Betrieb bereits eingestellt, nach Ober-Krummhübel zurück. Der fast unbegehbare Weg ließ mich wieder ins Grübeln verfallen. 19.30 Uhr, nach genau elf Stunden, erreichte ich mein Quartier in der Kreuzschänke. Herr Gajewski, der Wirt, aber auch meine Frau hatten sich schon so ihre Gedanken gemacht. Ein anstrengender, aber wunderschöner Wandertag im Reiche Rübezahls war zu Ende.

Juni 2003

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