von Karl-Heinz Drescher, Leipzig
Ende Juni 2005 weilte ich zum Wandern
im Riesengebirge. Den Ostteil des Böhmischen Riesengebirges mit seinen
Ausläufern, dem Kolbenkamm und das Rehorngebirge wollte ich kennen lernen.
Mein Quartier bezog ich daher in Kleinaupa.
Der erste Wandertag gehörte jedoch der Schneekoppe. Bei herrlichem Sonnenschein
und ausgezeichneter Fernsicht ging es von Kleinaupa, über die Jana- und
Leischnerbaude / Ruzohorky zum Rosenberg und weiter auf steilen Anstieg zur
Schneekoppe. Da es an diesen Tag recht stürmisch war, lief der Lift nur
bis zur Zwischenstation und von da ging es zu Fuß weiter. Es war Sonnabend
und daher viele Menschen unterwegs. Am Fuße der Koppe, beim Anblick des
Steilhanges war dann für viele, sogenannte Wanderer, Schluss und nur ein
Bruchteil quälte sich zum Gipfel.
Der Anblick auf dem Gipfel dann schockierend. Obwohl erwartet, in der Bergwacht vom August 2004, Seite 344, berichtete ich bereits über das Vorhaben, überkam mich doch Wehmut und Traurigkeit, den vertrauten Anblick gibt es nicht mehr. Das vorletzte Gebäude der ursprünglichen Bebauung, die Böhmische Baude, 1868 von Blaschke aus den Grenzbauden erbaut und seit 1875 im Besitz der Familie Pohl, fiel dem Abriss zum Opfer.
Neben dem Trümmerfeld noch jede Menge Transportsäcke mit Trümmermaterial.
Entschädigend war nur die ausgezeichnete Fernsicht, wie ich sie seit Jahren
nicht mehr erlebt hatte.
Einzigstes Bauwerk auf dem Gipfelplateau aus der Zeit vor 1945, ist die auf
schlesischer Seite erbaute, von Graf Christoph Leopold von Schaffgotsch gestiftete,
Laurentius-Kapelle.
Am Montag war ich erneut auf der Schneekoppe. An diesen Tag wählte ich
den klassischen, aber vielleicht schönsten Weg zum Gipfel, den durch den
Riesengrund. Auf dem Abrissgelände der ehemaligen Böhmischen Baude
herrschte reges Treiben. Vielleicht 15 junge Leute waren dabei Meter für
Meter des Geländes unter die Lupe zu nehmen und nach eventuell noch verborgenen
"Schätzen" zu suchen.
Von dem Leiter der Aktion "Abriss und Neuaufbau", Herrn Dr. Pavel
Klimeš, der auch gleichzeitig Mitherausgeber der mehrsprachigen, kostenlosen
Zeitschrift "Vesely Vylet" (deutsch: Ein lustiger Ausflug) ist, erhielt
ich folgende Informationen, die auch in der erwähnten Zeitschrift niedergeschrieben
und nachzulesen sind.
Das Holzgebäude war in einem so schlechten Zustand, das es keine Möglichkeit
der Erhaltung gab und abgerissen werden musste. Das Abrissmaterial füllte
über 350 Transportsäcke, deren Hauptteil am 20. Oktober 2004 von einem
Hubschrauber in den Löwengrund transportiert wurde. Auch das Wasserreservoire
mit einem Fassungsvermögen von 3200 Liter Wasser, das von 1912 bis 1956
mit Hilfe eines Peltonrads aus dem Riesengrund auf die Schneekoppe hochgepumpt
wurde, "flog" in den Löwengrund. Am 22.10.2004 war dann das Werk
vollbracht. Die letzten Transportbehälter werden Anfang Juli 2005 mit dem
Hubschrauber abtransportiert.
Den Dachstuhl des Hauptdaches bildeten elf Paar handgezimmerte Dachsparren,
die mit Holznägeln durchschlagen wurden. 136 Jahre haben diese gewöhnlichen
Nägel die Holzkonstruktion gehalten. Bei den Abrissarbeiten wurden nun
die Holznägel herausgeschlagen. Als Erinnerung an die Böhmische Baude
auf der Schneekoppe, als Andenken an die interessanter Geschichte, aber auch
als Denkanstoß für die Zukunft wurden neun Holznägel an den
Umweltminister in Prag, an die Bürgermeister von Mala Upa / Kleinaupa und
Pec pod Snezkou / Petzer, an den Direktor des Riesengebirgsnationalparks, an
die Leiterin der Poststelle auf der Schneekoppe, Frau Skrbkova, an Helmut Hofer,
Sohn des letzten Koppenträgers Robert Hofer und an, das freut uns natürlich
besonders, Krista Krämer und Hans Pohl aus früher Krummhübel,
Tochter und Sohn vom letzten Schneekoppenwirt Heinrich Pohl, stellvertretend
für hervorragende Dienstleistungen und Gastfreundschaft der Familie Pohl
seit 1875 auf der Schneekoppe, übergeben.
Der neunte Nagel ging an einen interessierten und optimistischenTouristen aus
der näheren Umgebung.
Zwei Holznägel wurden einbehalten. Einen als Andenken an die Plackerei
beim Auseinandernehmen der Baude bei widrigen Wetterbedingungen vom 21. September
bis zum 28. Oktober 2004. Der andere soll in die Holzkonstruktion des neuen
Bauwerkes geschlagen werden.
Favorisiert wird der Bau einer neuen Poststelle, mit einem Angebot von Andenken
und Erfrischungen. Auch an bescheidenen Wohnraum für zwei Angestellte im
Kellergeschoss ist gedacht. In den nächsten 14 Tagen wird bereits eine
Entscheidung fallen. 2006 soll dann das Bauwerk fertig sein und Frau Skrbkova
kann dann die seit 1899 bestehende österreichische und später tschechische
Posttradition auf der Schneekoppe weiter führen.
Zuvor ist aber die große Schatzsuche angesagt. Dabei geht es um Zeitzeugen
aus der langen Geschichte der Baude. Was sind das für Zeitzeugen die man
schon gefunden hat bzw. noch hofft zu finden.
In den hohlen Wänden und Decken fand man zum Beispiel eine Kurstabelle
zur Umrechnung von Reichsmark in Kronen, Reste von Nachtgeschirren, die früher
unter jedem Gästebett standen und eine Schachtel mit der Adresse von Otto
Goldbach, dem Chefkoch von der Schneekoppe. Dazu kamen jede Menge Rechnungen
von vor 30 Jahren, als eine Suppe für 2 Kronen 10 Heller oder ein Rum samt
Höhenzuschlag für 5 Kronen zu haben waren.
Bemerkenswert auch ein Lieferschein vom Koppenträger Robert Hofer, der
ein halbes Jahr vor Inbetriebnahme der Seilbahn am 21. Juli 1949 zweihundertfünfzig
Liter Bier von der Brauerei aus Hermanove Seify, für 1500 Kronen nach oben
getragen hat und in Rechnung stellt. Rechnet man das Gewicht der Eichenfässer
dazu, sind das fünf "Hundert-Kilo-Märsche" zum Gipfel. Flaschen
und Etikette erinnern an österreichische und ungarische Weine, zumeist
aus der Weingroßhandlung Emanuel Goldmann aus Nufsdorf. Die Koppenträger
schleppten auch schwere Glasflaschen mit Mineralwasser aus der Weberquelle bei
Hirschberg herauf.
In der Decke über der Küche waren in den gegenüberliegenden Ecken
zwei zueinander passende Hälften eines Teller versteckt, mit der Abbildung
der Schneekoppe, wohl aus dem Jahre 1888 und dem Namen von Emil Pohl.
Die Wände des Ausschanks waren vor dem Tapezieren mit verschiedenen Zeitungen
aus dem Jahre 1887 beklebt und lösten sich vom Hausschwamm an der Luft
begünstigt auf und flatterten aus der Baude. So kreisten oder lagen bald
um und auf dem Gipfel Reste aller möglichen Tageblätter, wie das Berliner
Blatt mit politischen Kolumnen, das Dresdener Tageblatt mit Börsenberichten,
die Schlesische Presse mit Annoncen aus Breslau und Hirschberg, sowie der Bote
aus dem Riesen-Gebirge mit Regionalnachrichten. In jüngeren Schichten klebte
auch das Parteiblatt Rude Pravo mit Berichten vom letzten Parteitag und den
damit verbundenen Erfolgen beim Aufbau des Sozialismus.
Teile von Brettern und Balken legen beredtes Zeugnis für das alte Sprichwort
ab: "Narrenhände beschmieren Tisch und Wände". So weiß
man nun, das der Oberwachtmeister der deutschen Staatspolizei, P. Kopke aus
Schweidnitz, am 15. August 1925 auf der Böhmischen Baude ganz andere als
staatliche Geschäfte verrichtete.
Einen Großteil der Funde nahmen die Münzen ein. Hunderte von Münzen
fielen durch die Dielen. In den unteren Schichten kamen besonders Kronen aus
der ersten Republik und ältere deutsche Pfennige zum Vorschein. Es fanden
sich aber auch Notmünzen mit der Prägung Pohl, die zur Inflationszeit
nur auf der Schneekoppe gültig waren. Ältester Fund war wohl ein im
Jahre 1851 geprägter österreichischer Kreuzer. An der tiefsten Stelle
des Bauwerks, der Jauchegrube, fand man einen guterhaltenen Heller aus dem Jahre
1953.
Am wertvollsten waren jedoch bauliche Erkenntnisse. So verwendete man an manchen
Stellen zum Abdichten und als Wärmedämmung Flechten der Gattung Cladonia
vom Koppengipfel. Das dürfte wohl einmalig in der Baugeschichte sein. Der
Erbauer Blaschke verwendete auch Balken und Bretter, seiner zuvor in den Grenzbauden
abgebrannten Baude.
Das jetzt noch erhalten gebliebene Holz soll bei der Erneuerung des Glockenturmes
an der Kapelle am Braunberg verwendet werden.
Den Rückweg trat ich über die Schwarze Koppe nach Kleinaupa an. Rückblicke
gaben nun endgültige Gewissheit vom veränderten Aussehen des uns früher
so vertrauten Anblick des Gipfels.
Eine nächste Wanderung führte vom Spindlerpaß auf dem Kammweg
zur Wiesenbaude und zurück nach Spindelmühle. Meiner Frau, die aus
gesundheitlichen Gründen solche Wanderungen nicht mit machen kann, wollte
ich den Pass und die verschiedenen Bauden aus der Nähe zeigen. Auf dem
Parkplatz an der Spindlerbaude lag noch jede Menge, zum Teil verkohltes, Holzmaterial,
welches wohl auf den Abtransport wartete. Erfreulich aber, an der Baude wurde
gearbeitet. Im Rohbau ist der frühere Anbau wohl schon fertig und die Baude
lädt nach wie vor zur Einkehr ein. Während meine Frau später
mit dem Bus zurück fuhr, trat ich die eben beschriebene Wanderung an. Auf
dem schlechten polnischen Kammweg kam ich zum früheren Standort der Prinz-Heinrich-Baude
und erlebte die erste Überraschung. Am Hang, in Blickrichtung zum Großen
Teich, eine frisch aufgestellte Tafel mit polnischem Text und einem Abbild der
Prinz-Heinrich-Baude. Leider reichten meine Polnisch-Kenntnisse nicht aus, um
den Inhalt des Textes zu erfassen.
Wenig später war die Wiesenbaude / Lucni bouda erreicht. Der Baudensaal
war gut gefüllt, obwohl noch keine Saison ist. Ich war überrascht
von der flotten, freundlichen, weiblichen Bedienung. Ein frisch gezapftes Budweiser
und eine wohlschmeckende Nudelsuppe, für etwas mehr als zwei Euro, erfreuten
Gaumen und Magen des Wanderers. Da die Baude in den letzten Jahren ganz oder
zum Teil geschlossen war, wollte ich gern etwas über die Zukunft der Baude
erfahren. Der Geschäftsführer war abwesend, aber eine eilends herbei
gerufene junge Angestellte von der Rezeption war bereit Auskunft zu erteilen
und auch die neugestalteten Zimmer zu zeigen. Die Baude wurde von der Firma
"Lexxus New Home Center" mit Sitz in Prag gekauft und soll in den
nächsten Jahren zum modernen Berghotel um- und ausgebaut werden. Bot die
Baude in der Vergangenheit vorwiegend Unterkunft im touristischen Stil an, stehen
in diesem Jahr die ersten sechs Doppelzimmer mit Dusche und WC zur Verfügung.
Bis Jahresende sollen es 15 Zimmer werden. Der Preis für eine Person Übernachtung
und Frühstück beträgt umgerechnet 21,00 Euro. Das gleiche Zimmer,
mit Dusche und WC auf der Etage kostet für eine Person 14,00 Euro. Die
Unterkunft in der "Touristenklasse" preislich noch günstiger.
Es wird kalte und warme Küche ganztägig angeboten. Der Parkplatz befindet
sich in Pec pod Snezkou. Das Gepäck wird von dort kostenfrei abgeholt.
Personen bezahlen bei der Beförderung ein geringes Entgelt. Im Winter ist
auf Grund der Nationalparkbestimmungen nur Langlauf möglich. Als Rückweg
wählte ich den mittleren Weg, den früheren Rosegger Weg, der mich
an der abgebrannten und nicht wieder aufgebauten Rennerbaude, nach dem Ortsteil
St. Peter und danach auf den Parkplatz führte.
Wandern im Gebiet des Kolbenkammes
und durchs Rehorngebirge fand auch noch statt. Auf den, durch die Nationalparkverwaltung
gut ausgebauten und gepflegten, sowie hervorragend beschilderten Wegen macht
das Wandern doppelten Spaß, zumal saubere rustikale Rastplätze zum
Verweilen und zum Rundblick einladen. Am Ende einer Wanderung traf ich in Marschendorf
IV. Teil / Horni Marsov auf die Wanderer vom Riesengebirgsverein, Ortsgruppe
Dresden, mit ihrem Vorsitzenden Walter Hofer, auch ein Verwandter der legendären
Koppenträger- Dynastie aus den Hoferbauden. Sie hatten die neue Baude Renerovka
in Kleinaupa als Ausgangsquartier für ihre Wanderungen bezogen.
Am Schluss noch ein paar Bemerkungen über die Aktivitäten der Herausgeber
der bereits erwähnten mehrsprachigen Zeitschrift "Vesely Vylet",
Miroslaw und Pawel Klimeš, ihres Freundeskreises bzw. ihrer Mitarbeitern. Sie
sind nicht nur, im Auftrag der Gemeinde Pec pod Snezkou, für den Abriss
der maroden Böhmischen Baude und dem Neubau auf der Schneekoppe verantwortlich,
ihnen ist es zu verdanken, das nun fast im gesamten tschechischen Ostriesengebirge
hochwertige Emaille-Informationstafeln mit viersprachigen Text über die
Besiedlung, volkstümliche Architektur, Ortsnamen und historischen Gebäude
und deren deutsche Spuren berichten.
An der Pension "Druzba", früher Tippelts Grenzbaude, kann man
nun u. a. erfahren, das die Baude vor 1918 Kaiser Franz Josef-Baude hieß
und die wunderschönen hölzernen Kronleuchter im Gastraum aus der Schnitzschule
Bad Warmbrunn stammen. Schräg gegenüber in der Centrum- Galerie kann
man sich über die Geschichte des Ortes Grenzbauden / Pomezni boudy in deutsch
informieren.
Neue Lehrpfade wurden geschaffen und tragen zu einem schönen Aufenthalt
in den Bergen bei. Hervorzuheben der Zollweg bei Albendorf / Horni Alberice
in der Nähe von Marschendorf, wo dieser Lehrpfad mit einer Neuanpflanzung
einer historischen Laubbaumallee verbunden ist und wo auf dem Rastplatz mit
Blick auf das idyllisch gelegene Waldhufendorf Albendorf die Informationstafel
nicht fehlen darf. (Siehe Foto)
Der interessierte Leser erfährt an vielen Orten, das die ehemaligen deutschen Bewohner nach 1945 vertrieben wurden. Aktivitäten, die man jenseits der Grenze vergeblich sucht.